Leitartikel Die Berliner Politik fasst sich endlich ein Herz

Zum „Ausrüster der Welt“ soll Deutschland nach dem Willen der großen Koalition in der Wasserstofftechnik werden. Ein großes Wort, aber kein leeres. Denn nun werden dafür kurzfristig neun Milliarden Euro mobilisiert.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Corona sei Dank. Plötzlich gab es Geld genug, und plötzlich gab es auch die Notwendigkeit, die Konjunktur schnell wieder anzukurbeln. So fasst sich die Berliner Politik wenigstens bei dieser Zukunftstechnologie einmal ein Herz.

Wasserstoff ist kein Allheilmittel für alle Energieprobleme und auch nicht für den Klimaschutz. Aber er ist ein wichtiges Element der Lösung beider Probleme. Es gibt eine ganze Reihe von Sektoren, die ohne diese Technologie noch sehr lange auf fossile Brennstoffe angewiesen wären. Schiffe und Lastwagen lassen sich mit elektrischen Batterien nur schwer antreiben. Ähnliches gilt für schwerindustrielle Prozesse. Überall hier ist Wasserstoff die klimaneutrale, rückstandsfreie Alternative. Als Speicherenergie kann er zudem dazu beitragen, die Versorgung mit erneuerbarem Strom sicherer zu machen. Man kann ihn lagern, durch das vorhandene Gasnetz transportieren und daraus irgendwo wieder Strom machen. Und hinten raus kommt nur Wasser.

Ökologisch Sinn macht das freilich nur, wenn der Wasserstoff zuvor mittels erneuerbarem Strom gewonnen wurde. Das wäre allein aus deutschen Windrädern und Solaranlagen in den von der Bundesregierung angepeilten Größenordnungen nicht möglich. Auch nicht nach Anhebung des Solardeckels und die Erhöhung der Zubaumengen für Wind an Land und auf See. Außerdem ist es in vielen Bereichen ökonomischer und auch ökologischer, grün gewonnenen Strom direkt zu verwenden, statt ihn kompliziert umzuwandeln. Deshalb ist die geplante Kooperation mit Ländern der südlichen Hemisphäre so wichtig. Sie haben viel effizientere Möglichkeiten, aus Sonne erst Strom und dann Wasserstoffgas zu machen. Auch wird schon an neuen Verfahren gearbeitet, die ganz ohne Strom auskommen und nur mit direktem Sonnenlicht arbeiten, um das Gas zu produzieren. Immerhin zwei der neun Milliarden Euro sollen allein für solche Kooperationsprojekte investiert werden.

Insgesamt ist das Programm ein mächtiger Aufschlag, ein „Wumms“ wie Olaf Scholz sagen könnte. In kürzester Zeit wird hier jetzt ein großer Markt für einen neuen Energieträger geschaffen – mit all der Technologie, die ihn begleitet. Und mit den entsprechenden Arbeitsplätzen. Wäre Deutschland in die Batterie- und E-Autoproduktion mit ähnlicher Verve eingestiegen, seine Autoindustrie hätte jetzt wohl nicht so große Probleme.

Es gibt nur zwei Verlierer der Kabinettsentscheidung vom Mittwoch. Sie heißen Putin und Trump. Beide charmieren und drohen, um in Europa schnell noch so viel Gas wie möglich zu verkaufen, ehe der Klimaschutz sie irgendwann stoppt. Der eine Erdgas, der andere Flüssiggas. Wenn die Wasserstoffstrategie zündet, wird beides schon in 15 oder 20 Jahren kaum noch gebraucht werden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort