Leitartikel Ein Spiel, das nach Putins Regeln läuft

Wladimir Putin hat sich lange überlegt, ob er sich zu den Normandie-Gesprächen bereiterklären soll. Wieso sollte er mit einer Europäischen Union verhandeln, die in seinen Augen als internationaler politischer Akteur ein Ausfall ist und als Anhängsel der US-Außenpolitik kaum zu eigenständigen Handeln in der Lage ist?

Knut Krohn

Knut Krohn

Foto: SZ/Lorenz Robby

Dann aber hat Emmanuel Macron überraschend die Initiative ergriffen. Der französische Präsident hat den Kreml-Herrscher mit Einladungen umgarnt und dabei seine europäischen Partner mit seinen außenpolitischen Alleingängen immer wieder mächtig vor den Kopf gestoßen. Schließlich hat Macron seinem russischen Kollegen für die Gespräche in Paris den roten Teppich ausgerollt, indem er der Nato den „Hirntod“ erklärte. Auch von einer Art Neuanfang in den Beziehungen zu Russland war plötzlich die Rede. Diese Analyse wurde im Kreml mit großer Freude zur Kenntnis genommen, da der Franzose damit im selben Atemzug in weiten Teilen die Sicht des Kremls auf das nordatlantische Verteidigungsbündnis wiedergab.

Spätestens jetzt erkannte der russische Präsident, dass er bei Gesprächen über die Ukraine unter diesen Voraussetzungen sehr viel gewinnen kann – etwa eine Lockerung der lästigen Sanktionen. Emmanuel Macron hat sich zwar ohne Mandat, aber sehr selbstbewusst und medienwirksam als Sprachrohr der Europäischen Union inszeniert und scheint offensichtlich bereit, Putins Positionen im Fall der Ukraine in zentralen Punkten beim weiteren Vorgehen mit einzubeziehen.

Der kühl kalkulierende russische Präsident kann zudem davon ausgehen, dass auch die anderen Verhandlungspartner dringender eine Lösung wünschen als er. Angela Merkel ist mit ihrer Nachfolge beschäftigt und steht zunehmend unter Druck der deutschen Wirtschaft, die Sanktionen abzubauen. Und der neue ukrainische Staatschef Wolodymyr Selenskyj hat bei seinem Volk große Hoffnungen geweckt, den Frieden zu einem seiner zentralen Wahlversprechen gemacht. Auf der anderen Seite sieht Wladimir Putin keine allzu große Veranlassung dazu, ein so kostbares politischen Faustpfand ohne wirklich nennenswerten Gegenleistungen einfach aus der Hand zu geben.

Das sind schlechte Nachrichten für den Frieden im umkämpften Osten des Landes, denn es wird wieder einmal deutlich, dass es bei den Verhandlungen nicht nur um die Ukraine geht. Frankreich und Deutschland denken auch global und wollen nach Jahren der Eiszeit das Verhältnis zu Russland verbessern.

Ein zentrales Ziel Macrons scheint es, Moskaus Abkehr von Europa und die Hinwendung nach China verhindern zu wollen. Aber hier täuscht sich der französische Präsident. Russland sieht sich längst wieder als unabhängige Großmacht, die sich – wie etwa in Syrien – herzliche wenig um die Belange andere Mächte kümmern muss. In diesem Sinne hat der Kreml keine Probleme damit, die Beziehungen Europa zu verbessern – allerdings nur zu den Bedingungen, die Russland nützen.

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