Leitartikel Warum die Politik sich um die Kinder kümmern muss

Meinung · Früher haben sich Eltern untereinander über Schulprobleme, Freizeitstress, Schwimmkurse und andere Hobbies unterhalten. Meistens jedenfalls. Doch wenn man im Sommer 2021 auf andere Eltern trifft, gibt es meist nur die eine Frage: Lässt du dein Kind impfen – oder nicht?

Chatgruppen sind voller Abwägungen, Argumente dafür und dagegen werden gewogen, (pseudo-)wissenschaftliche Studien herumgeschickt, Bilder von Impfeinstichen geteilt. Die Verunsicherung der Eltern ist riesig: Schade ich meinem Kind mit der Impfung durch mögliche langfristige Schäden, die noch nicht absehbar sind? Oder schütze ich es vor einer neuen Corona-Variante, die im Herbst Prognosen zufolge auf jeden Fall die Schulen treffen wird, da die Mehrzahl der erwachsenen Bevölkerung dann geimpft ist? Und welche Folgen hat diese Infektion?

Die Ständige Impfkommission (Stiko) hat durch ihre Empfehlung, zunächst nur vorerkrankte Kinder zu impfen, nicht dazu beigetragen, den Nebel zu lichten – zumal die Delta-Variante zum Zeitpunkt der Empfehlung noch nicht diese Rolle gespielt hat. Die Politik macht sich bei diesem Thema ebenfalls einen schlanken Fuß. Es gibt viele Äußerungen, deren Aussagen aber größtenteils den Tenor haben: Müssen die Eltern wissen. Wie kann das sein? Die Gesellschaft hat die Alten und die Kranken während der Pandemie geschützt, zumindest in der zweiten und dritten Welle. Zu den Schwächsten eines Gemeinwesen gehören aber auch die Kinder.

Nach allem, was wir bisher wissen, entwickeln Kinder und Jugendliche im Allgemeinen weniger schwere Formen von Covid-19 als ältere Menschen. Doch auch sie können sich anstecken, das Virus weitergeben und erkranken. Auch bei ihnen sind schwere Verläufe möglich. In Großbritannien breitet sich das Coronavirus derzeit unter Schülerinnen und Schülern mit großem Tempo aus.

Soll man also seitens der Politik auf die Eltern Druck ausüben, die Kinder impfen zu lassen? Nein. Aber sich zurückzulehnen und mit dem Zeigefinger auf die überforderten Eltern zu zeigen, hilft auch nicht. Die Politik darf das Thema Kinder und Schulen nicht erneut am unteren Ende der Agenda belassen. Sommer, Sonne, Ferien – Inzidenzen nahe 5. All das gab es vergangenen Sommer auch schon. Das böse Erwachen kam dann im Herbst. Dass Minister die Schüler erneut vorsichtig auf Wechselunterricht einstellen, ist nicht nur politisch unklug, es ist schlicht unverschämt.

Wenn bis dahin nicht in jedem Klassenraum ein Luftfilter ist, was haben wir dann eigentlich gelernt? Wo sind die Hygienekonzepte? Auch der Stiko würde es gut anstehen, regelmäßig über den Stand der Dinge zu informieren. Es braucht dringend eine neue Risikoabwägung. Und Informationen – über den Stand von wissenschaftlichen Untersuchungen, die Erfahrungen in anderen Ländern etwa. Die Jugend kam in der Pandemie zu kurz. Viel zu kurz. Egal, ob in der ersten, zweiten oder dritten Welle. Sollte es eine vierte geben – Kinder und Jugendliche dürfen nicht erneut die Verlierer sein.

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