Leitartikel Ein bitterer, aber notwendiger Abzug aus Afghanistan
Man kann die Lage am Hindukusch nicht schönreden. Wenn die USA und in deren Gefolge auch die Nato-Staaten ihre Truppen bis spätestens 11. September aus Afghanistan abziehen, hinterlassen sie kein wieder aufgebautes Land mit einer eigenen Variante von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
Die US-Geheimdienste schreiben in ihren Reports, für die Regierung in Kabul werde es schwer werden, die Taliban in Schach zu halten“. Damit verkleistern sie die Wirklichkeit. Ein Rückfall in Terror und Gewalt gelten zumindest als wahrscheinlich. Die Nato-Staaten ringen seit Jahren mit der bitteren Erkenntnis, dass dieser Krieg nie zu gewinnen war und an seinem Ende nur geringe Erfolge stehen.
Dennoch hat US-Präsident Joe Biden Recht, wenn er offen ausspricht, dass das Land nicht mit Bombern oder ausländischen Truppen stabilisiert werden kann. Es ist vielleicht gelungen, die Terrororganisation Al-Qaida weitgehend zu zerschlagen – ob sie wirklich unwiderruflich zerstört wurde, wagt niemand sicher zu behaupten. So könnte das Land erneut in Kämpfen und Anschlägen versinken, weil es auch bisher nicht gelungen ist, eine Friedenskonferenz mit allen politischen Kräften zu installieren, welche wenigstens einen gemeinsamen Nenner haben: die Zukunft ihres Landes selbst in die Hand nehmen zu wollen. Friedlich, demokratisch und dem Willen des Volkes verpflichtet. Bisher galt eine solche Vereinbarung als Bedingung für einen Truppenabzug. Nun ließ Biden – übrigens sehr zum Missfallen des deutschen Außenministers Heiko Maas – sogar diese Vorbedingung fallen. Denn er hat richtig erkannt, dass diese Kondition zu einer dauerhaften Präsenz von US- und Nato-Truppen führen würde. Die USA wollen keinen Tag länger als nötig am Hindukusch bleiben. Er will nicht länger Jahr für Jahr etliche Milliarden Dollar für einen ohnehin aussichtslosen Einsatz investieren und sich stattdessen den eigentlichen Herausforderungen widmen: den Beziehungen zu Russland und zu China. Denn Peking und Moskau haben den faktischen Ausfall der Vereinigten Staaten auf der außenpolitischen Bühne genutzt, um sich neu aufzustellen. Biden konzentriert die Kräfte seines Landes. Darum geht es.
Die Bundeswehr und die übrigen Nato-Truppensteller können den USA wieder einmal nur folgen. Die Missionen in Afghanistan wurden zwar mehr und mehr der Situation angepasst, bis am Ende die Ausbildung und das Training für einheimische Sicherheitskräfte im Zentrum des Auftrags stand. Aber bei allem Respekt vor dem Einsatz der Soldatinnen und Soldaten konnte auch das nur Stückwerk bleiben, weil die politische Kraft der führenden Elite des Landes nicht ausreichte, um Warlords und Untergrundkämpfer so weit zu entmachten. Die Deutschen werden den Amerikanern folgen und hoffentlich den internationalen Organisationen Platz machen, die zumindest versuchen, was in 20 Jahren Militäreinsatz nicht wirklich gelang: Afghanistan zu befrieden und dem Land und seinen Menschen eine Perspektive zu geben. Es ist ein bitterer, aber notwendiger Abzug, der nun beginnen wird.