Leitartikel über Privilegien für Geimpfte Impfverweigerer verdienen keinen besonderen Schutz

Meinung · Die Politik will Privilegien für Geimpfte verbieten. Keine gute Idee und wahrscheinlich gar nicht nötig.

Ulrich Brenner

Ulrich Brenner

Foto: SZ/Robby Lorenz

Die Diskussion über Privilegien für Menschen, die gegen das Coronavirus geimpft sind, erscheint noch verfrüht. Das Geimpft-Sein selbst ist derzeit das größte Privileg. Das werden jene bestätigen, die bei der Anmeldung für die erste Impfwelle gescheitert sind. Geimpft-Sein bedeutet für viele der über 80-Jährigen ein Ende der akuten Angst, dass jede persönliche Nähe den Tod bringen kann. Schließlich tragen sie im Falle einer Corona-Infektion ein besonders hohes Risiko zu sterben. Ein Mensch über 80, der die Chance zur Impfung nicht nutzt, schadet sich vor allem selbst.

Die Frage, ob Geimpfte im eingeschränkten Corona-Alltag Vorteile genießen sollen oder ob es gar eine Impfpflicht geben muss, könnte sich aber dann stellen, wenn im Laufe des Jahres die Bevölkerung auch in ihrer Breite Zugang zu den Vakzinen erhält. Und wenn erkennbar werden sollte, dass diese nicht nur vor Krankheit schützen, sondern auch die Infektion selbst verhindern oder abmildern und damit die Verbreitung des Virus bremsen. Das wäre die Chance, Corona zu besiegen. Wer dann noch die Impfung ablehnt, verweigert der Gesellschaft einen Beitrag zur Befreiung. Im Notfall wird er die Beatmung, die man ihm nicht vorenthalten darf, aber kaum ablehnen.

Ist da nicht eine Impfpflicht gerechtfertigt? Dass sie in der Debatte derzeit so schrill verworfen wird, überrascht, denn exotisch ist sie nicht. In mehreren EU-Ländern gilt sie gegen diverse Erreger. In Deutschland existiert sie faktisch gegen Masern als Voraussetzung für den Kita-Besuch. Bei der Corona-Impfung könnte als Argument gegen sie gelten, dass die Vakzine neu und langfristige Nebenwirkungen zwar unwahrscheinlich, aber nicht erforscht sind.

Allerdings ist die Güterabwägung bei Corona eine andere: Denn, wie wir mittlerweile verstanden haben, ist die Durchseuchung kein Ausweg. Die Impfung fast der gesamten Bevölkerung ist die einzige Antwort auf die beispiellosen gesundheitlichen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Vor der Alternative – jahrelange Lockdowns, Tausende Tote – wirken die Restrisiken der Impfung klein. Das gilt für die Gesellschaft – und jeden Einzelnen. Wieso Menschen, die sich dieser Logik verweigern, gesetzlich vor Diskriminierung bei Reisen, Konzerten und in der Gastronomie geschützt werden sollen, wie man es jetzt diskutiert, leuchtet nicht ein. Das würde bedeuten, die Freiheit der Geimpften länger einzuschränken als nötig. Diese aber ist kein vom Staat verliehenes Privileg. Sie ist ein Grundrecht, das nur zurückstehen darf, wenn es gar nicht anders geht – nicht für Impfverweigerer.

Aber soweit muss es nicht kommen. Wenn Impfdosen für alle bereitstehen, wird die Entscheidung einfach sein: Die Gesellschaft wird akzeptieren, dass das Gesundheitssystem mit der dann geringeren Zahl schwerer Corona-Fälle klarkommt – und das normale Leben wieder möglich ist. Dann werden sich die Nicht-Geimpften überlegen müssen, ob sie das Risiko tragen wollen, ins Stadion zu gehen, ins Flugzeug zu steigen oder einen Club zu besuchen. Das selbst zu entscheiden, ist auch ein Privileg. 

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