Parteitag wählt neue Führung Stillhalte-Modus statt Aufbruch bei der SPD
Rund ein Dutzend Vorsitzende hat die SPD allein seit der Jahrtausendwende verschlissen. Zuletzt kamen die Chef-Genossen immer schneller unter die Räder. Siehe Martin Schulz: Mit 100 Prozent Zustimmung gewählt, ein Jahr später war er weg.
So wurde das angeblich schönste Amt neben Papst zum Schleudersitz. Wie erwartet wählte der Parteitag in Berlin nun eine weithin unbekannte schwäbische Bundestagsabgeordnete und einen pensionierten Ex-Finanzminister aus Nordrhein-Westfalen zum Führungsduo. Der Partei gehen die Profis aus, auch weil die sich selbst ins Aus schossen. Kann daraus ein Aufbruch entstehen, wie er in Berlin gefühlt zum x-ten Mal beschworen wurde? Wahrscheinlich ist das in diesem Fall nicht.
In Wahrheit geht es bei dem Konvent ja darum, die während der Urabstimmung der neuen Chefs aufgekommene Putsch-Stimmung gegen die Groko in geordnete Bahnen zu lenken. Denn das Basisvotum für Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans war im Kern ein Votum für den Ausstieg aus dem Regierungsbündnis mit der Union. Vor allem Esken hatte dafür getrommelt. In ihrer Parteitagsrede suchte sie dieser Linie mit geballter linker Seelenmassage treu zu bleiben, scheute aber die Konsequenz: eine klare Abstimmung über den Verbleib in der Regierung anzuzetteln. Derweil unterschied sich die Rede ihres Co-Chefs kaum von denen früherer Parteivorsitzender. Hier die Scharfmacherin, dort der Versöhner. Im Zweifel sind der Partei zwar immer noch die moderaten Töne lieber, wie der deutliche Stimmenvorsprung Walter-Borjans’ gegenüber Esken zeigt. Trotzdem wird es bei dieser Rollenverteilung bleiben. Denn damit können beide Flügel leben. Es ist ein Stillhalte-Abkommen, wie man es bislang eher von der Linkspartei kannte. Dort will der eine Teil pragmatisch etwas verändern, der andere will lieber recht haben.
Ein spektakulärer Ausdruck dafür wäre auch eine Kampfabstimmung zwischen Arbeitsminister Hubertus Heil und No-Groko-Rebell Kevin Kühnert um einen Vize-Posten gewesen. Dass sie abgeblasen wurde, indem man die Zahl der Stellvertreter kurzerhand doch wieder erweiterte, spricht zwar allen Bekenntnissen zur Verschlankung der Parteistrukturen Hohn. Die Operation zeugt aber auch davon, dass es Regierungs-Anhängern und -Kritikern wichtig war, einen Bruch zu vermeiden.
Zwei Personen an der Spitze – und auch im übertragenen Sinne wird man es künftig mit zwei Gesichtern bei der SPD zu tun haben: Minister und Bundestagsfraktion, die ihren Koalitionsjob machen, und eine Parteiführung, die der Groko fern steht. Einstweilen muss das für die SPD nicht schlecht sein. Viele Genossen könnten so tatsächlich ihren Seelenfrieden finden. Die Frage ist nur, wie die Partei damit im nächsten Wahlkampf umgehen will. Sozialdemokratische Erfolge lassen sich jedenfalls kaum als solche verkaufen, wenn das Regierungsbündnis stetig bekrittelt wird. Den beiden neuen Vorsitzenden fehlt die Autorität, dieses Dilemma aufzulösen. So oder so.