Leitartikel zum Start der Geisterspiele Risiko für die Bundesliga – Chance für den ganzen Sport

Der Neustart der Bundesliga erntet Kritik. Doch sie kann nun Testlabor sein für die Rettung des gesamten Profi-Sports in der möglicherweise langen Corona-Krise.

Leitartikel: Risiko für die Bundesliga – Chance für den ganzen Sport
Foto: SZ/Robby Lorenz

An diesem Wochenende blickt nicht nur die Nation, sondern die gesamte Sportwelt auf den deutschen Fußball. Der Wiederbeginn der beiden Bundesligen in der Coronavirus-Pandemie ist Chance und Risiko zugleich. Chance, weil damit nicht nur die Deutsche Fußball Liga (DFL) und die Vereine eine Möglichkeit haben, mit einem dicken blauen Auge aus der Saison zu gehen. Chance zudem, weil die Bundesliga weltweit einzigartige Grundlage für wissenschaftliche Untersuchungen sein kann, wie Kontaktsportarten auch unter Corona möglich sind – ein Pilot-Modell für den Profisport. Da ein Impfstoff noch lange nicht in Aussicht ist, könnte das Hygiene-Konzept der DFL, nach den ersten Erfahrungen verfeinert, für den Rest des Jahres oder länger gelten. Denn die Corona-bedingten Einschränkungen für Zuschauersport dürften lange bleiben.

Ein Risiko ist das Ganze aber, weil sich in der Bevölkerung der Wind gedreht hat. Mittlerweile ist wohl eine Mehrheit der Menschen, egal ob Fußballfan oder nicht, gegen Geisterspiele. Das Argument, dass ohne sie viele Vereine in Insolvenz gingen, verfängt angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Probleme im Land immer weniger. Da ist Demut gefragt, vor allem auch bei den Profis. Nichts würde dem Projekt so sehr schaden wie weitere Selfies mit vergoldeten Steaks. Zumal viele Fans zu Recht monieren, dass das Rad der Kommerzialisierung schon zu weit gedreht wurde.

Viele, auch Politiker, Gesundheitsexperten oder Polizisten, kritisieren, hier werde dem Fußball eine Extrawurst gebraten. Aber ist es wirklich eine Extrawurst? Hat nicht jede Branche das Recht, für ihr Geschäftsmodell zu kämpfen? Dürfen Fußball-Profis, bei denen sich ein aufwendiges Hygiene- und Testkonzept wirtschaftlich lohnt, ihren Beruf nicht ausüben, nur weil ähnliches bei Amateuren und Jugendfußballern nicht darstellbar ist? Inzwischen ist die Kapazität bei den Covid-Tests so groß, dass der Profifußball objektiv niemandem etwas wegnimmt.

Als Land gilt Deutschland mit seinem glimpflichen Davonkommen in der Krise vielen in der Welt als Vorbild. Sollte auch das Experiment Bundesliga klappen, würde das diesen Ruf verstärken. Und das gesundheitliche Risiko der fitten jungen Sportler dürfte nicht höher sein als das der Verkäuferin im Supermarkt oder der Arzthelferin.

Ob die Fans die Geisterspiele trotz aller Bedenken im TV verfolgen wollen, wird sich zeigen. Die Gefahr, dass die Fanbasis wegbricht, ist real. Das ist das große Risiko des Tanzes auf der Rasierklinge. Wie fragil das DFL-Konstrukt ist, zeigt der Fall Dynamo Dresden. Der Zweitliga-Letzte muss nach positiven Corona-Tests zwei Wochen in Quarantäne – um nach 14 Tagen ohne jedes Training um wichtige Punkte zu kämpfen. Chancengleichheit sieht anders aus. Das gilt auch für das DFB-Pokalhalbfinale, das der 1. FC Saarbrücken nach drei Monaten ohne Pflichtspiel gegen Bayer Leverkusen austragen muss. Aber in der Corona-Krise geht es meist nicht mehr um die beste Lösung, sondern um die am wenigsten schlechte von vielen schlechten Möglichkeiten.

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