Leitartikel Nur eine Atempause vor dem Machtkampf

Annegret Kramp-Karrenbauer ist gerade mal 14 Monate CDU-Vorsitzende. In der kurzen Zeit hat sie bereits einen politischen Höllenritt erlebt. Fehltritte, Querschüsse, Kampf ums parteiinterne Vertrauen und damit auch um die Kanzlerkandidatur.

 Hagen Strauss

Hagen Strauss

Foto: SZ/Robby Lorenz

Zuletzt konnte man den Eindruck gewinnen, dass sie einigermaßen in die Spur gefunden hat. Der Eklat von Thüringen wirft die Saarländerin jetzt wieder zurück. Auch mit Blick auf ihre eigenen Ambitionen.

Es ist nur eine Atempause, die AKK am Freitag vom Führungspersonal der Union zugebilligt wurde. Die Beschlüsse des Präsidiums bekräftigen im Grunde genommen vor allem das, was die Union immer schon gesagt hat: Keine Zusammenarbeit mit extremen Rechten wie Linken. Woran sich die Parteifreunde in Thüringen aber nicht gehalten haben. Der Versuch von AKK, mit ihrem Blitzbesuch zügig Neuwahlen im Freistaat durchzudrücken, ist jedenfalls am Widerstand der Unionsfraktion in Erfurt gescheitert. Sicher, die Realitäten spielen dabei eine Rolle: Eine Mehrheit im Landtag ist für die Selbstauflösung ohnehin kaum zu erwarten. Aber der thüringischen CDU hätte es gut zu Gesicht gestanden, nach dem unsäglichen Pakt mit der Höcke-AfD ein eindeutiges Signal zu senden: Wir haben verstanden. Wir haben einen schweren Fehler begangen. Deswegen Neuwahlen. Umfragen hin, Umfragen her.

AKK muss nun damit leben, dass ihr Einfluss als Vorsitzende offenkundig weitaus geringer ist als erhofft. Ihre Aufforderung an SPD und Grüne, doch bitteschön einen eigenen Kandidaten bei der womöglich nächsten Wahl eines Ministerpräsidenten aufzustellen, mutet daher wie ein Ablenkungsmanöver an. Freilich ein durchaus gefährliches. Gerade für die Groko. In der jetzigen Phase den Koalitionspartner so zu provozieren, könnte den Streit im Bündnis über den Thüringer Eklat verschärfen. In welchem Ausmaß, dürfte sich im Koalitionsausschuss zeigen. Groko-Deeskalation geht jedenfalls anders. Und: Den Riss in der Union hinsichtlich der Bewertung der Erfurter Vorgänge kittet man so auch nicht.

Die Wahlen in Hamburg in zwei Wochen werden nun wichtiger als gedacht für AKK. Sollte die Union regelrecht untergehen, wird das Ergebnis der Vorsitzenden mit angelastet werden. Dann dürfte der vorerst abgewendete innerparteiliche Machtkampf doch noch voll entbrennen. Da hat Kramp-Karrenbauer etwas mit FDP-Chef Christian Lindner gemein: Seine Liberalen haben in Thüringen die wohl unrühmlichste Rolle gespielt. Falls die FDP in der Hansestadt aus der Bürgerschaft fliegt, wird sich zeigen, wie viel die gewonnene Vertrauensfrage tatsächlich wert ist. Oder ob das Vertrauen dann nicht schon wieder dahin ist. Insofern hat sich auch Lindner politisch nur eine kurze Atempause verschafft. Zugutehalten muss man ihm, wie kleinlaut und selbstkritisch er nach der Vorstandssitzung Fehler eingeräumt hat; das hört man aus Politikermund selten. Das wird zwar nicht reichen, den großen Schaden, der in Erfurt für die Liberalen insgesamt entstanden ist, wieder zu beseitigen. Aber es ist ein Anfang.

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