Neuer Ministerpräsident mit AfD-Stimmen gewählt In Thüringen herrscht nun maximales Chaos

Wahlen zum Ministerpräsidenten haben mitunter ihre eigenen Gesetze. In Schleswig-Holstein zum Beispiel scheiterte vor 15 Jahren Heide Simonis in vier Anläufen hintereinander, weil der SPD-Frau ein bis heute Unbekannter aus den eigenen Reihen partout seine Stimme verweigerte.

 Stefan Vetter

Stefan Vetter

Foto: SZ/Robby Lorenz

Auch in Thüringen ging es in der Vergangenheit schon turbulent zu, weil sich Christine Lieberknecht von der CDU vor elf Jahren für eine Mehrheit bis in den dritten Wahlgang zittern musste. Das Wahldesaster für ihren späteren Nachfolger Bodo Ramelow von der Linken gestern in Erfurt toppt dies allerdings bei weitem. Weil es die politischen Verhältnisse in Wanken bringt. In Thüringen, wo jetzt maximales Chaos herrscht. Aber auch in Berlin, wo sich Union und FDP jetzt unbequemen Fragen stellen müssen.

Es ist zweifellos ein Tabubruch: Zum ersten Mal in der jüngeren deutschen Geschichte wurde ein Ministerpräsident mit den Stimmen einer Rechtsaußenpartei, der AfD gewählt. Und der Gewählte selbst hat keinerlei Programm und gehört der mit Abstand schwächsten Partei im Landtag an. Die FDP kam bei der Wahl im Oktober nur mit allergrößter Mühe über die Fünf-Prozent-Hürde. Da dürften sich viele Thüringer politisch betrogen fühlen. Mit 31 Prozent wurde die Linke damals mit Abstand stärkste Kraft im Land. Doch galt dieses überzeugende Votum in erster Linie Bodo Ramelow. Er war im Osten das, was Winfried Kretschmann von den Grünen in Baden-Württemberg ist: ein Pragmatiker und populärer Realpolitiker, für den das Landeswohl im Mittelpunkt steht und nicht das eigene Parteibuch.

Schon deshalb mutete der Eiertanz der CDU nach dem zugegeben schwierigen Landtagswahlergebnis seltsam an. Erst suchte man die Nähe zu Ramelow, um dann wieder maximal auf Distanz zu gehen. Nun hat sie Ramelow tatsächlich verhindert. Aber um welchen Preis? Alle Beteuerungen der CDU, mit der AfD rein gar nichts am Hut zu haben, wirken jetzt nicht mehr glaubhaft. Das gilt auch für die Chefin der Bundespartei, Annegret Kramp-Karrenbauer. Mit ihrer politischen Autorität steht es ohnehin nicht zum Besten. Das Beben in Thüringen reicht also bis nach Berlin. Wie will Schwarz-Rot künftig vertrauensvoll zusammenarbeiten angesichts der Ränkespiele in Erfurt? Nach Lage der Dinge ist dort auch für die SPD mit dem Regieren Schluss. Die Thüringer Christdemokraten und Liberalen haben offensichtlich einkalkuliert, dass die AfD ihren eigenen Kandidaten gnadenlos fallen lassen würde, um ein „bürgerliches Bündnis“ zu schmieden, wie es dort immer heißt. Dabei zeichnet sich gerade der Thüringer AfD-Verband durch besondere Radikalität aus. Dafür steht Fraktionschef Björn Höcke. Nach einem Gerichtsbeschluss darf er sogar als „Faschist“ bezeichnet werden. Auch das wird man nun Union und FDP immer wieder vorhalten. Zu Recht.

Angesichts der verfahrenen Lage in Thüringen wären Neuwahlen wohl am besten. Schlimmer als jetzt kann es danach kaum mehr werden.

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