Leitartikel Merkel ist in Moskau politisch gescheitert

Bei ihrem Abschiedsbesuch in den USA wurde Angela Merkel kürzlich mit Lobeshymnen überschüttet. In Russland begrüßte man die Kanzlerin am Freitag weniger euphorisch, obwohl Merkel auch dort nach 16 Jahren als Regierungschefin ein letztes Mal vorbeischaute.

 Kommentarkopf, Foto: Raum 11/Jan Zappner

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Foto: Agentur Raum 11

Einige kreml­treue Medien erinnerten aus diesem Anlass fast genüsslich an ein Treffen 2007, als Putin seinen Labrador „Koney“ auf Merkel losließ, die Angst vor Hunden hat.

Auf den ersten Blick scheint der Unterschied zwischen den russischen und den amerikanischen Abschiedsgrüßen das Verhältnis der Kanzlerin zu den Freunden im Westen und den Feinden im Osten widerzuspiegeln. Wobei Merkel den Begriff „Feindschaft“ sicher zurückweisen würde. Zu Recht, denn Russland ist weder ein Feind Deutschlands noch des Westens. Allerdings ist man auch weit von einer echten Partnerschaft entfernt. Das wiederum hat entscheidend mit der russischen Annexion der Krim und dem Krieg in der Ostukrai­ne zu tun. Beides hat den Rahmen der Ost-West-Probleme, die es schon vorher gab und für die beide Seiten Verantwortung trugen, gesprengt. Anders formuliert: Der Westen hat in seiner Russlandpolitik seit dem Ende der Sowjetunion viele folgenschwere Fehler begangen. Die Osterweiterung der Nato war zumindest in der Form, wie sie „durchgezogen“ wurde, falsch und schädlich. Das kann aber niemals eine Rechtfertigung für den russischen Eroberungskrieg in der Ukraine sein. Merkel hat in ihrer langen Kanzlerschaft ausdauernd versucht, das Verhältnis zu Russland nicht nur zu entkrampfen, sondern nachhaltig zu verbessern. Sie hat sich weder von Labrador „Koney“ noch von der Wucht der Krim-Annexion einschüchtern lassen. Unter dem Strich ist sie mit diesem Ansatz aber gescheitert.

Das zeigt sich zuallererst in der Ukraine. Die Kanzlerin hat den Kremlchef in den kleinteiligen Minsker Friedensprozess gedrängt und der russischen Offensive damit die Kraft geraubt. Von echtem Frieden kann aber keine Rede sein. Der russische Truppenaufmarsch im Frühjahr hat gezeigt, dass Putin bereit und in der Lage ist, jederzeit wieder loszuschlagen. Merkels Scheitern offenbart sich aber auch beim Thema Nordstream II. Die Kanzlerin hat die Pipeline gegen alle Widerstände in der EU und den USA durchgeboxt. Damit hat sie bei den Partnern viel Vertrauen zerstört, nicht nur im Baltikum, in Polen und der Ukraine. Bekommen hat sie für diesen Einsatz von Putin: nichts.

Dabei ist Nordstream für den russischen Präsidenten nicht nur wirtschaftlich und geopolitisch ein zentrales Projekt, sondern auch symbolisch. Denn nach allem, was man über Putin weiß, sind ihm die Beziehungen zu Deutschland wirklich wichtig. Umso deutlicher muss man die Frage stellen, warum der Kremlchef die nicht nachlassenden Bemühungen der Kanzlerin so gar nicht mit Entgegenkommen beantwortet hat. Die Antwort kann nur lauten: Weil es ihm niemand abverlangt hat. Warum sollte jemand etwas geben, wenn er sowieso alles bekommt? Diese Frage ist zugleich Auftrag an Merkels Nachfolger im Amt. Oder die Nachfolgerin.

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