Leitartikel Lukaschenko sitzt noch immer am längeren Hebel

Die Bilanzen des dritten landesweiten Protestwochenendes in Belarus fielen am Montag höchst unterschiedlich aus. Von einem „grandiosen Marsch des Friedens und der Unabhängigkeit“ schrieb das Portal der Menschenrechtsorganisation „Charta‘97“ und berichtete von einer Viertelmillion Teilnehmern allein in Minsk.

 Ulrich Krökel

Ulrich Krökel

Foto: SZ/Robby Lorenz

Vertreter des Regimes beschränkten sich auf die schlichte Aussage, die Mehrheit der Bevölkerung stehe hinter dem Präsidenten. Einig war man sich in der Zahl der mehr als 120 Festahmen. Dazu passte, dass sich Lukaschenko am Sonntag, seinem 66. Geburtstag, einmal mehr mit Kalaschnikow in der Hand filmen ließ. Zugleich teilte die Präsidialadministration mit, dass Wladimir Putin zum Geburtstag angerufen habe, um Lukaschenko zu gratulieren und ihn zu einem Treffen nach Moskau einzuladen. Die Botschaft der Nachricht jedoch war eine andere: Der mächtige russische Präsident steht auf Seiten des Regimes in Minsk und wird den Machterhalt im Zweifel garantieren.

Danach sieht es derzeit aber nicht aus. Im Gegenteil. Die große Zahl der Protestierenden am Sonntag ließ zwar nicht erkennen, dass die Bewegung schon entscheidenden Schwung verloren hat. Andererseits ist es der Opposition bislang nicht gelungen, einen Generalstreik zu organisieren. In den großen staatlichen Betrieben sind die Beschäftigten nach Entlassungen von Streikführern wieder an ihre Arbeitsplätze zurückgekehrt.

In dieser Situation sucht die unter Zwang ins Exil geflüchtete Oppositionsführerin Swetlana Tichanowskaja weiter internationale Unterstützung. An diesem Freitag will sie sich per Videoschalte mit einem Appell an die Mitglieder des Weltsicherheitsrats wenden. Anfang der kommenden Woche soll dann ein Auftritt der 37-jährigen Lukaschenko-Herausforderin vor dem Europarat folgen. Allerdings spricht wenig dafür, dass eine breitere internationale Unterstützung für Tichanowskaja ihre Position im Ringen um die Macht in Belarus entscheidend stärken könnte. Solange der Sicherheitskomplex aus Polizei, Geheimdienst KGB und Armee hinter Lukaschenko steht, bliebt ein schneller Sturz des Regimes unwahrscheinlich. Bislang ist es dem Koordinierungsrat der Opposition auch nicht gelungen, den erhofften „nationalen Dialog“ mit allen politischen Kräften im Land zu organisieren. Simpler Grund: Lukaschenko verweigert das Gespräch mit der Opposition.

Immer offensichtlicher wird hingegen, dass der Präsident andere Pläne hat, die sich mit dem Schlagwort „Revolution von oben“ beschreiben lassen. So erklärte er am Montag, er werde „dem Volk Veränderungen vorschlagen, die das Land voranbringen“. Damit deutete Lukaschenko, der seit 26 Jahren amtiert, erneut die Bereitschaft zu Reformen an, allerdings unter seinen Bedingungen. Forderungen der Opposition, zur Verfassung von 1994 zurückzukehren, die maximal zwei Amtszeiten für das Staatsoberhaupt vorsieht, lehnt er kategorisch ab: „Das gehört zu einer Vergangenheit, die wir überwunden haben. Wir wollen vorangehen.“ Nur wie, das sagt Lukaschenko nicht.

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