Leitartikel Konjunktur-Prognose steht auf schwankendem Grund

Die Wirtschaftweisen sagen Deutschland für dieses Jahr 3,1 Prozent Wachstum voraus. Etwas weniger zwar, als zunächst erwartet, aber  beileibe nicht schlecht. Eine echte Mutmacher-Nachricht. Ein altes Bonmot besagt, dass Prognosen immer schwierig sind, vor allem wenn sie die Zukunft betreffen.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Die aktuelle Konjunkturvorhersage steht auf besonders schwankendem Grund. Um es maritim auszudrücken: Keiner weiß heute, wie lange der Corona-Sturm dauert und welche Überraschungen die schwere See für das Schiff noch bereithält. Der Impfstopp für Astrazeneca ist ein Beispiel für diese Unwägbarkeiten, ebenso die schnelle Ausbreitung neuer Virusmutanten.

Außerdem verdeckt die durchschnittliche Wachstumserwartung noch mehr als sonst, dass es nicht in allen Sektoren und für alle gleich gut läuft. Der Durchschnitt ist ein mieser Gleichmacher. So ist die deutsche Industrie zwar nach wie vor stark; sie profitiert von der schnellen Erholung der Märkte in Asien. Aber die Märkte in Europa sind wichtiger und dort ist fast überall noch oder wieder Lockdown. Wie lange kann Asien das ausgleichen? Hinzu kommt: Mit enorm hohen Überbrückungsgeldern und neuen Insolvenzregeln wurde das Sterben vieler Betriebe aufgehalten. Aber oft nur aufgeschoben, nicht aufgehoben.

Die wirkliche Schadensbilanz wird man erst ziehen können, wenn die Pandemie abgeebbt ist. Das gilt vor allem für die kleinen Selbstständigen, die Gastronomie und den Handel. Welche Läden öffnen dann wieder, welche nicht? Wie viel Leerstand gibt es dann bei Gewerbeimmobilien? Die Pleitewelle kommt noch. Und endlos Schulden machen kann der Staat auch nicht, um alles aufzufangen. Im Gegenteil, bald geht es ans Zurückzahlen. Dann sind Sparhaushalte angesagt.

Unsicher ist auch, wie sich das Konsumniveau entwickeln wird. Es ist relativ hoch geblieben – weil die sozialen Folgen der Krise mit Kurzarbeit und Sonderzahlungen für Familien ebenfalls mit viel Geld abgefedert wurden. Die Sparquote ist wegen geschlossener Läden so hoch wie nie, so dass ein nachholender Konsumsprung möglich ist, wenn die Geschäfte und Reisebüros alle wieder öffnen. Genauso kann es aber bei wachsender Arbeitslosigkeit auch zu einer Konsumzurückhaltung kommen.

Außerdem ist das Schiff in keinem guten Zustand. Die Digitalisierung – erbärmlich. Die öffentliche Verwaltung – ineffektiv und langsam. Die Autoindustrie – kämpft um Anschluss. Die Energiewende – stockt gefährlich. In der Pandemie-Zeit sind die Schwächen von Made in Germany deutlich geworden. Der einzige wirkliche Lichtblick: Die Leistung der deutschen Forschung, siehe Biontech. Aber auch hier sieht man wiede – wie schon seit vielen Jahren – das Problem, dass aus Forschung Massen-Produkte werden müssen. Im Fall des Impfstoffes ging das nur mit amerikanischer Hilfe. Wie kriegt das Land wieder richtig Schwung, so dass aus der optimistischen Prognose Wirklichkeit wird, über 2021 hinaus? Das ist die Aufgabe, vor der die nächste Bundesregierung stehen wird.

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