LEitartikel Europa muss auf Erdogan mit kühlem Kopf reagieren

Emmanuel Macron und Recep Tayyip Erdogan pflegen seit Jahren eine herzliche Feindschaft. Der außenpolitisch überaus ambitionierte französische Präsident hat mit seiner Kritik an seinem türkischen Kollegen nie hinter dem Berg gehalten.

 Knut Krohn

Knut Krohn

Foto: SZ/Lorenz Robby

So hat Macron im Konflikt um die Gasvorkommen im östlichen Mittelmeerraum immer wieder scharfe Warnungen an Erdogan gerichtet. Und zuletzt hat er ihm die massive Einmischung im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Südkaukasus-Region Berg-Karabach zum Vorwurf gemacht. Es war nur eine Frage der Zeit, bis Erdogan dem französischen Staatschef öffentlich in die Parade fahren würde. Angesichts der Äußerung Emmanuel Macrons nach dem Mord in Paris an einem Lehrer, dass sich der Islam in einer Krise befinde, schien dem türkischen Präsidenten die Gelegenheit zur Rache gekommen. Doch offenbaren die wütenden Angriffe aus Ankara auf den französischen Präsidenten vor allem die Schwäche Erdogans. Denn seine hässlichen Tiraden sind nichts weiter als Ablenkungsmanöver: vom Versagen im Kampf gegen das Corona-Virus im eigenen Land, dem Absturz der türkischen Wirtschaft und auch dem außenpolitischen Schiffbruch. Lange hat Recep Tayyip Erdogan versucht, sich zum Führer der muslimischen Welt aufzuschwingen, und ist dabei kläglich gescheitert. Nun will er anderen islamischen Staaten wie Ägypten oder Saudi-Arabien wenigstens zeigen, dass er der einzig wahre Verteidiger der Ehre des Propheten ist.

Bestürzend ist, dass sich die Herrscher vieler anderer muslimisch geprägter Länder lautstark hinter Recep Tayyip Erdogan stellen und so den Hass weiter anfeuern. Der Vorwurf: Emmanuel Macron würde mit seiner Islam-Kritik die radikalen Kräfte in den muslimischen Gesellschaften stärken. Keine Selbstkritik und auch kein Wort dazu, dass in sehr vielen dieser muslimischen Gesellschaften Korruption, Misswirtschaft, Scheindemokratie und marode Gesundheitssysteme seit Jahrzehnten ein idealer Nährboden für den islamistischen Terror sind, der dann auch in die Welt getragen wird. Wichtig ist, dass sich viele EU-Staaten nach den verbalen Attacken aus Ankara mit Emmanuel Macron solidarisiert haben. Europa darf in dieser Situation keine Zweifel am Rechtsstaat und demokratischen Werten aufkommen lassen. Im Fall der Türkei muss diese Solidarität aber auch konkrete Folgen haben. So sollte etwa die wirtschaftliche Zusammenarbeit der EU mit Ankara sehr genau unter die Lupe genommen werden – dazu zählen auch die hochlukrativen Rüstungsgeschäfte. Das gilt auch für andere Staaten, die sich nun auf die Seite des türkischen Staatschefs geschlagen haben.

Auf keinen Fall darf Europa in Erdogans Falle tappen und eine Frontstellung zu „den Muslimen“ aufbauen. Das ist kein moderner „Religionskrieg“, der nur Gut und Böse kennt. Die moderne und demokratische Zivilgesellschaft in der Türkei muss auch weiterhin von der EU unterstützt werden. Oberstes Ziel muss es sein, kühlen Kopfes und mit gezielten Maßnahmen den Autokraten am Bosporus in seine Schranken zu weisen.

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