Leitartikel Ein Krisenmanagement, das zu wünschen übrig lässt

Was die Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten am Donnerstag beschlossen hat, ist ein neuer Lockdown, jedenfalls ein kleiner. Er ist notwendig, weil sich das Infektionsgeschehen inzwischen nicht mehr auf einzelne Herde eingrenzen lässt.

Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Unvernunft hierzulande, vor allem junger Leute, rege Reisetätigkeit deutscher Urlauber auch in Risikogebiete und unvorsichtiges Verhalten von Migranten bei Familienbesuchen auf dem Balkan oder in der Türkei sind die Hauptquellen. Ziel ist, den großen zweiten Lockdown zu vermeiden.

Dennoch dürfte die Enttäuschung der Bevölkerung groß sein, vielleicht auch die Ablehnung. Denn die Erwartungen gingen in Richtung mehr Lockerungen. Selbst Innenminister Horst Seehofer hatte am Tag zuvor noch für Bundesligaspiele mit Publikum plädiert. Sie fallen nun wohl bis Jahresende aus, wie alle Großveranstaltungen. Maskenpflicht und Abstandsregeln gelten fort, die Kontrolle soll sogar verschärft werden, das Bußgeld wird weitgehend vereinheitlicht. Und die gesamte Party- und Eventbranche kann den Traum vom Neustart knicken.

Ist das Willkür? Nein, aber es wirkt so. Denn die Politik hatte in den letzten drei Monaten einen Flickenteppich der Regelungen erzeugt. Mitverantwortlich auch Angela Merkel, die sich aus der Krisenkoordination zurückgezogen hatte, auf Druck der Länder. Das Ergebnis hat jenen Abwehrreflex geweckt, der nur natürlich ist: Warum muss ich mich einschränken, wenn die Leute im Nachbarland das nicht müssen? Viele Maßnahmen wurden auch als ungerecht empfunden. Einschränkungen werden nur akzeptiert, wenn sie für alle gelten. Oder wenn wenigstens die Kriterien für alle gleich sind. Grenzwerte zum Beispiel, ab denen Verbote automatisch greifen. Sie fehlen sogar nach der jüngsten Besprechung noch. Etwa bei der Höchstteilnehmerzahl privater Feiern. Am schwierigsten sind die Beschlüsse für die Reisebranche. Eine 14-tägige Quarantänepflicht nach jedem Besuch in einem Risikogebiet macht diesen Sektor kaputt, auch wenn sie nach fünf Tagen durch einen Test aufgehoben werden kann. Denn auch Nicht-Risikogebiete können diesen Status schnell bekommen, wie gerade Paris. So kann keiner mehr planen. Natürlich sind solche wirtschaftlichen Nebenwirkungen kein Gegenargument, wenn das Verfahren in der Sache notwendig ist. Doch genau daran gibt es ernstzunehmende Zweifel. So sagt selbst der SPD-Experte Karl Lauterbach, dass auch sieben Tage Quarantäne reichen würden. Und warum beginnt die Regierung erst jetzt, nach Ende der Reisesaison mit einer besseren Registrierung der Urlauber? Schlechte Kommunikation und schlechte Planung beim Reisethema – festzuhalten ist nach diesem Corona-Gipfel, dass Bundesregierung und Länder beim Krisenmanagement gerade keine gute Figur machen. Trotzdem müssen sich die Menschen an die neuen Einschränkungen halten. Wie an alles, was eine gesetzliche Grundlage hat (hier das Infektionsschutzgesetz) und von demokratisch gewählten Institutionen beschlossen wird. Zur Not unter Protest.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort