Leitartikel Die Entfremdung zwischen Macron und den Franzosen

Emmanuel Macron steckt in der Sackgasse. Vor dem französischen Präsidenten türmt sich ein schier unüberwindbares Gebirge von Problemen – aber sein Volk verweigert ihm die Gefolgschaft.

 Knut Krohn

Knut Krohn

Foto: SZ/Lorenz Robby

Die Wirtschaft ist wegen der Corona-Pandemie abgestürzt und steht vor historischen Herausforderungen. Offenbar werden in der Krise die bisweilen katastrophalen Zustände im Pflege- und Krankenhausbereich. Eine wütend geführte Diskussion über Rassismus und Polizeigewalt offenbart tiefe Gräben in der Gesellschaft. Die Demonstrationen der Gelbwesten sind zwar abgeflaut, aber die soziale Ungleichheit besteht weiter. Die dringend benötigte Reform des Rentensystems liegt nach heftigen Protesten offiziell auf Eis.

Macron wirkt angesichts dieser Situation zunehmend ratlos. Drei Jahre ist er inzwischen Präsident von Frankreich – und seit zwei Jahren steckt er im Umfragetief. Die Schuld dafür muss der Chef im Élysée bei sich selbst suchen. Als selbstbewusster, marktliberaler Denker ging er davon aus, es genüge, den Zweiflern nur lange genug den Sinn seines harten Reformprogramms zu erklären. Macron sah die Zahlen, nicht aber die Menschen. Für die Betroffenen jedoch war die Öffnung der Märkte keine Verheißung. Für viele hieß es, dass sie Angst um ihren Job haben mussten, weniger verdienten oder länger arbeiten mussten. In dieser ersten Phase seiner Präsidentschaft hat Emmanuel Macron den Keim gelegt für eine politische und auch emotionale Entfremdung zwischen ihm und seinem Volk. Macron wurde in den Augen vieler Franzosen der „Präsident der Super-Reichen“.

Dass der Staatschef die sozialen Proteste der Gelbwesten anfangs über Wochen ignorierte und dann vor allem mit überharten Polizeieinsätzen beenden wollte, hat das Urteil der Menschen über ihre Präsidenten als arrogante Politik-Schnösel zementiert. Dabei hat Emmanuel Macron in seiner Amtszeit mehrere Anläufe unternommen, sich mit seinem Volk zu versöhnen. Auf dem Höhepunkt der Proteste der Gelbwesten blickte er schon einmal in den politischen Abgrund. Damals initiierte er die „Grand Débat“, eine Art landesweite Bürgersprechstunde. Wochenlang tourte der Präsident hemdsärmelig durchs Land und schwärmte von einem „Vertrag für die Nation“. Doch viele taten die „Grand Débat“ als Polit-Theater ab. Selbst in der Corona-Pandemie, in der sich das Volk in den meisten Staaten Europas hinter ihren Regierungen sammelte, konnte Macron nicht punkten. Profitiert hat davon eher Premierminister Édouard Philippe.

Macron muss handeln, will er seine Wiederwahl in zwei Jahren nicht schon jetzt in die Binsen schreiben. Also hat er sich entschieden, das Ruder radikal herumzureißen. Verfolgte er bisher einen wirtschaftsliberalen Kurs, sollen nun die sozialen Aspekte stärker betont werden. Angesichts der Erfolge der Grünen in vielen europäischen Ländern will er auch den Umweltschutz ins Zentrum seines Tuns rücken. Frankreich werde sich angesichts der Krise ungeahnten Ausmaßes neu erfinden müssen, hatte der Präsident zuletzt immer wieder betont – gemeint hat er damit wohl vor allem sich selbst.

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