Leitartikel Deutschland steht vor seiner schwersten Prüfung

Es sind wirklich Idioten, die jetzt noch in den Parks die Flasche kreisen lassen oder zu Hause Corona-Partys veranstalten. Die sich beim Sport abklatschen. Die Kinder in großen Gruppen tollen lassen. Das schöne Wetter täuscht.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Dies ist keine schöne Zeit. Und auch kein Extraurlaub. Corona sieht man nicht. 10 000 Fälle im ganzen Land erscheinen beherrschbar. Aber die Dunkelziffer liegt beim Faktor Zehn, so die Schätzungen. Und viele Erkrankte merken kaum etwas; sie tragen das Virus weiter. Die Zahl der Infizierten verdoppelt sich derzeit alle 3,5 Tage. Das bedeutet bei unveränderter Entwicklung: In zwei Wochen wird es hierzulande über 150 000 registrierte Infizierte geben, in einem Monat schon über zwei Millionen. Wenn das passiert, kollabiert das Gesundheitssystem. Und Tausende werden sterben.

Angela Merkel hat in ihrer ungewöhnlichen Fernsehansprache erneut auf die Dramatik der Situation hingewiesen und alle aufgefordert, auf jeden vermeidbaren sozialen Kontakt zu verzichten. Deutschland steht unmittelbar vor der entscheidenden Phase der Krise. Nicht irgendwann. Sondern jetzt. Wenn die Party-Leute so weitermachen, die Leichtsinnigen und die Leugner, dann wird es auch in deutschen Krankenhäusern bald aussehen wie in Italien. Dann muss entschieden werden, welches Leben den Kampf noch lohnt und welches nicht. Dann kann auch nicht mehr behandelt werden, wer eine andere ernste Erkrankung hat. Auch die Jungen nicht.

Also: Mindestens 1,50 Meter Abstand, egal in welcher Situation. Also: Händewaschen, immer und immer wieder. Also: Keinerlei engen Kontakt mit anderen Menschen. Nur mit der eigenen Familie. Und selbst da: Händewaschen. Also keine Party mehr. Kein geselliges Essen. Kein Gruppensport. Kein Spielplatz. Jetzt kommt die bittere Zeit.

Es wäre ein Wunder, wenn Deutschland angesichts der bisherigen Leichtfertigkeit eines Teils seiner Bevölkerung um den großen Hammer herumkäme, der in Europa schon über Italien, Frankreich, Österreich und Spanien niedergegangen ist: Ausgangssperre. Der totale Shutdown. Merkels Rede bereitet diesen Schritt vor, sie ist eine letzte Warnung. Die Regierung wollte Ausgangssperren bisher vermeiden und will es noch. Vielleicht ist das falsch. Die nächsten Tage werden es zeigen.

Jetzt ist wirklich Disziplin gefragt. Von allen. Je mehr Disziplin, umso schneller ist diese unerträgliche Zeit vorbei. Es gibt jetzt kein Verständnis mehr für all die Witzbolde und Wichtigtuer, ob im Netz oder auf den Straßen, die sich über die Weisungen hinwegsetzen. Jetzt brauchen die Schwächsten Solidarität, vor allem die Alten. Die Einsatzkräfte und das medizinische Personal brauchen Unterstützung, wenigstens moralisch. Überhaupt alle, die das Land am Laufen halten. Deutschland steht vor einer schweren Prüfung. Die Fächer lauten: Verantwortung und Gemeinsinn. Geprüft wird nicht irgendeine abstrakte Macht. Geprüft wird jeder Einzelne von uns. Ohne Ausnahme. So wie die Kanzlerin gesagt hat.

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