Leitartikel Das Urteil ändert nichts an der Gewissensentscheidung

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zur Sterbehilfe ist eindeutig. Ohne Wenn und Aber hat das Gericht das Verbot gekippt, Sterbewilligen die Selbsttötung zu ermöglichen.

 Hagen Strauss

Hagen Strauss

Foto: SZ/Robby Lorenz

Es verstößt gegen das Grundgesetz. Jetzt herrscht endlich Klarheit – es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, nicht nur auf Würde im Leben, sondern nun auch auf dem Weg in den Tod. Das ist ein zutiefst menschliches Urteil.

Die Entscheidung, wie viel Leid ein Schwerstkranker am Ende seines Lebens ertragen kann und will, ist und bleibt eine besonders persönliche. Sie ist eine Gewissensentscheidung – für den betroffenen Patienten, aber sicherlich auch für Angehörige oder Ärzte, die den Kranken in seinen letzten Wochen begleiten. Mit einem Verbot kann der Staat diesen Gewissenskonflikt nicht reglementieren oder gar annullieren, befand das Verfassungsgericht. Der Versuch aus dem Jahr 2015 ist damit krachend gescheitert. Karlsruhe hat entschieden, dass die grundgesetzlich geschützte Willensfreiheit umfassender ist, als der Gesetzgeber bisher den Bürgern zugebilligt hat. Das war auch notwendig. Weil diese Einsicht einem heute schon auf andere Weise begegnet. So ist etwa die klare Verfügung eines schwerkranken Patienten, die Behandlung unter bestimmten Umständen abbrechen zu lassen, auch eine Form der Selbsttötung. Eine, die allerdings bereits gesetzlich festgeschrieben und gesellschaftlich weitgehend akzeptiert ist.

Nun muss die Politik den nächsten Schritt gehen, das ist der Auftrag des Verfassungsgerichtes. Sie muss darauf achten, dass bei einer Liberalisierung keinerlei gesellschaftlicher Druck auf Alte und Schwerstkranke entsteht, sich zum Suizid durchzuringen. Das ist die große Sorge der Kirchen und der Wohlfahrtsverbände, die man nicht von der Hand weisen kann. Die Herbeiführung des Todes darf nicht zum schnöden Geschäftsmodell werden. Klugerweise hat das Verfassungsgericht daher schon aufgezeigt, was es sich vorstellt: Die Suizidhilfe kann und muss reguliert werden, es braucht also Schutzmechanismen, damit der Einzelne nicht durch andere gefährdet wird. Richtig so. Selbstbestimmung und Suizidprävention schließen sich somit nicht aus.

Die neuen Regelungen müssen nun zügig von der Politik auf den Weg gebracht werden. Dass dies kein einfaches Unterfangen wird, haben die anderen Debatten um existenzielle Fragen gezeigt – zuletzt die Auseinandersetzung um die Neuregelung der Organspende oder über den Umgang mit den Trisomie-Bluttests. Vor allem die Union steht nun vor der Bewährungsprobe, ob sie bereit ist, den neuen verfassungsrechtlichen Rahmen zu akzeptieren und wenn ja, in welcher Form. Die innerparteiliche Debatte darüber, die CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak schon angekündigt hat, wird heikel werden.

Damit kommt Gesundheitsminister Jens Spahn ins Spiel. Er ist bisher eher dafür bekannt, beim Thema Sterbehilfe zu blockieren. Um die konservative Wählerschaft nicht zu verprellen. Nun muss ausgerechnet er vom Bremser zum Liberalisierer werden. Wahrlich keine leichte Kehrtwende.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort