Leitartikel Das Beschäftigungswunder findet ein abruptes Ende

Auch der Tag der Arbeit war in diesem Jahr ganz vom Corona-Virus überschattet. Keine Massenkundgebungen der Gewerkschaften, stattdessen digitale Schmalspurkost mit begrenzter Breitenwirkung. Und wo sonst stets die Forderung nach mehr Teilhabe am wirtschaftlichen Zuwachs dominierte, klang diesmal auch die Sorge um den Joberhalt durch.

 Stefan Vetter

Stefan Vetter

Foto: SZ/Lorenz, Robby

Die aktuellen Zahlen dazu dürften auch die größten Pessimisten geschockt haben. Gut 300 000 Arbeitslose mehr und praktisch aus dem Stand heraus über zehn Millionen Kurzarbeiter. Damit hat das deutsche Beschäftigungswunder ein abruptes Ende gefunden.

Nun geht es um Schadensbegrenzung. Die Horrorzahl von der Massenkurzarbeit ist daher gute und schlechte Nachricht zugleich. Eine gute, weil viele Betriebe ihre Belegschaft nicht sofort auf die Straße setzen, weil Unternehmen hoffen, dass es relativ zeitnah wieder aufwärtsgeht. Und eine schlechte, weil die Zahl andeutet, was Deutschland blühen könnte, wenn das nicht geschieht. Wo kein Umsatz und auch keine neuen Aufträge in Sicht sind, wird ein Unternehmen trotz staatlich geförderter Kurzarbeit irgendwann doch in die Pleite rutschen. Denn andere Betriebskosten laufen ja weiter. So könnte die Massenkurzarbeit auch nur ein bitterer Vorgeschmack auf die Rückkehr massenhafter Arbeitslosigkeit sein.

Die Bundesregierung hat Multi-Milliarden aktiviert, um dieses Szenario möglichst zu verhindern. Die Kasse der Arbeitslosenversicherung ist ja auch gefüllt. Allerdings fehlt es am nötigen Weitblick im Umgang mit den Mitteln. Eine allgemeine Aufstockung des Kurzarbeitergeldes, wie gerade erst beschlossen, mag zwar populär klingen. Doch in erster Linie profitieren davon Gutverdiener. Wer dagegen nur zum Mindestlohn arbeitet, dem helfen auch 80 Prozent Kurzarbeitergeld kaum über die Runden. Eine zielgerichtete Hilfe für Niedrigverdiener wäre besser. Obendrein würde dies auch Geld für andere, sinnvollere Ausgaben sparen. Stattdessen fließen jetzt mehr Beitragsmittel sogar für jene Kurzarbeiter, deren Unternehmen die Aufstockung aus eigener Kraft hätten stemmen können. Auch dadurch schmelzen die finanziellen Reserven der Arbeitslosenversicherung noch schneller weg als ursprünglich gedacht.

Die Leidtragenden könnten Arbeitssuchende und potenziell Auszubildende sein. Für die vormals viel beschworene Qualifizierungsoffensive ist dann nämlich kein Geld mehr da. Auch lässt sich Massenarbeitslosigkeit nachhaltig nur verhindern, wenn es zu Neueinstellungen kommt. Doch welcher Unternehmer würde das in der Krise tun, wenn es dafür keinerlei staatlichen Anreiz gibt? Letztlich drohen damit auch viele Schulabgänger in diesem Jahr zu einer verlorenen Corona-Generation zu werden.

Bleibt die Hoffnung, dass die Wirtschaft tatsächlich bald wieder auf die Beine kommt, Hotels und Restaurants öffnen, sich das Leben langsam, aber stetig normalisiert. Die Horrorzahl von zehn Millionen Kurzarbeitern hat den Handlungsdruck für die Politik hier noch einmal enorm verstärkt.

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