Leitartikel Corona surft jetzt auf der Reisewelle

Es sind wieder sehr viele Menschen unterwegs in Deutschland. Die Jugend der Welt feiert wieder Partys, notgedrungen draußen, aber ohne Abstand. Und auch die Älteren gestalten sich den Sommer als eine gesellige Zeit.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Auf Malle oder in der Laubenkolonie. Die touristischen Hotspots sind wieder voll – und einige von ihnen werden zu Hotspots von Corona.

Deshalb ist die Entscheidung richtig, Reiserückkehrer aus Risikogebieten an den Flughäfen zwangsweise zu testen. Zu viele ignorieren nämlich die geltende Pflicht zur 14-tägigen Selbstquarantäne inklusive Rückmeldung beim Gesundheitsamt, wenn sie aus einer als gefährlich eingestuften Region heimkommen. Ein Zwangstest wird zwar Rückreisende, die per Auto oder Bahn unterwegs sind, nicht erfassen, aber wenigstens an den Flughäfen neue Virenverbreiter herausfischen. Und so dazu beitragen, Corona-Infektionen zu minimieren. Darum geht es ja bei allen Maßnahmen. Es gibt allerdings keinen Grund, dass der Staat die Tests bezahlt. Wer in diesen Zeiten fernreist, ahnt zumindest, dass er sich auf Risiken einlässt.

Kritisch ist zu fragen, warum man so spät begonnen hat, über dieses Problem nachzudenken. Die Ferien kommen ja nicht wirklich überraschend, ebenso wenig ihr Ende. Jetzt, da zum Beispiel in Mecklenburg und bald auch in Brandenburg und Berlin die Schule wieder losgeht, mit dem Aufbau eines Testsystems zu beginnen, ist ein bisschen spät. CDU-Supermann Jens Spahn war an diesem Punkt nicht weitsichtiger als die Gemeinschaft der Länderministerpräsidenten. Darunter CSU-Supermann Markus Söder, der nun ernsthaft meint, man müsse ja nicht in Risikogebiete fahren, man könne auch daheim urlauben. In Mamming, Niederbayern etwa, oder am Wolfgangsee, Österreich, den aktuellen Infektionsherden?

Wenn nicht alles täuscht, beginnt gerade Phase zwei des Anti-Corona-Kampfes in Deutschland. In der drängen auch die letzten noch nicht wieder normalisierten Bereiche wie Discos und Profi-Fußball auf Öffnung. In der werden die Abstands- und Hygiene-Regeln immer laxer genommen. Gleichzeitig aber steigt die Zahl der Infizierten mit der Zahl der Gelegenheiten langsam aber sicher wieder an und zwar nicht nur in einzelnen Betrieben oder Heimen, sondern in der Breite. Zum Teil importiert, zum Teil hausgemacht. Das Urteil des Kanzleramtes, man habe das Virus „im Griff“, war etwas voreilig.

Im Gegenteil, der Staat muss jetzt mit neuen Maßnahmen eine neue Balance finden, damit diese zweite Welle schon im Ansatz bricht. Denn ein weiterer Lockdown muss unbedingt vermieden werden. Er würde Wirtschaft, Staatsfinanzen, Sozialsystem und wohl auch der Psyche der Menschen einen Genickschlag versetzen, gegen den es dann kein Rettungspaket mehr gibt. Die Pflicht gut gebräunter Reisender, sich am Flughafen etwas Spucke aus dem Mund entnehmen zu lassen, ist da eine lächerlich geringe Einschränkung.

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