Flüchtlingslage an der EU-Grenze Eine humanitäre und politische Katastrophe

Die Lage an der Südost-Grenze der EU ist aus humanitärer Sicht unerträglich. Die 13 000 Menschen, die dort am Wochenende zusätzlich gestrandet sind, werden wohl sehr lange im Niemandsland vegetieren müssen.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Es wird keinen neuen Flüchtlingsstrom über den Balkan geben, denn der ist inzwischen ein einziger Drahtverhau aus Grenzen. Und auch Deutschland wird eine Wiederholung von 2015 nicht zulassen. Die Flüchtlinge sollten sich keine Illusionen machen: Sie stecken fest.

Die Situation ist auch eine politische Katastrophe. Es gibt so viele Wurzeln des Übels, dass es unmöglich erscheint, sie alle gleichzeitig zu beseitigen. Ein Ursprung ist der Krieg in Syrien, und hier kann Europa praktisch gar nichts tun, außer zu appellieren. Ein Ursprung ist der türkische Präsident Erdogan, der die Flüchtlinge kaltschnäuzig als politisches Druckmittel benutzt, um Unterstützung für seine militärische Intervention im Nachbarland zu bekommen. Das ist ausgeschlossen. Aber über die Kosten der Unterbringung von Flüchtlingen muss man mit ihm reden, es wenigstens immer wieder anbieten. So wie Angela Merkel es getan hat. Vorerst ohne Resultat.

Und dann gibt es da noch die europäische Wurzel des Übels. Die geregelte Aufnahme und Verteilung von Flüchtlingen in der EU funktioniert nicht, weil einige Länder sich von vornherein ausgeklinkt haben und weil in den anderen, darunter Deutschland, die Stimmung kippt. Auch deshalb haben die Flüchtlinge in der Türkei inzwischen alle Hoffnung verloren. Jetzt, da die Situation an den Grenzen außer Kontrolle zu geraten droht, sehen sie eine einmalige Chance gekommen. So wie 2015. Dass sich nun sogar ganze Familien mit Kindern auf den Weg in die Kälte des Niemandslandes machen, ist zwar unverantwortlich. Es zeigt aber, wie verzweifelt die Betroffenen sein müssen.

Auch die europäischen Spitzenpolitiker sind keine Götter. Wunder kann man von ihnen nicht erwarten. Nur, dass sie das Menschenmögliche tun. In der derzeitigen Lage heißt das zuallererst: Sofortige humanitäre Hilfen an der griechisch-türkischen Grenze selbst. Und Unterstützung für die griechischen Behörden, auch in ihrem Kampf gegen die widerlichen Übergriffe von Rechtsextremisten auf die Flüchtlinge. Dann: Gespräche mit Erdogan über eine Erneuerung des Flüchtlingspaktes. Begleitet werden muss das alles von einer Verstärkung der gemeinsamen Grenzsicherung an der EU-Außengrenze, um ein weiteres Nachströmen zu verhindern. Am Ende aber geht es auch um die Schaffung eines überschaubaren Einreisekorridors für die an der Grenze und in der Türkei Gestrandeten, vor allem für Familien. Dazu könnte sich ein Kreis der „willigen“ Staaten sammeln, der bereit und in der Lage ist, Flüchtlinge aufzunehmen. Deutschland sollte dazugehören. Die ohnehin niedrige Obergrenze von jährlich 200 000 Flüchtlingen wurde zuletzt nie ausgeschöpft; selbst alle 13 000 Griechenland-Flüchtlinge des Wochenendes wären kein Problem. Deutschland ist aufnahmefähig. Aber auch aufnahmewillig?

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