Leitartikel Union und SPD dürfen nach Hessen nicht hektisch werden

Nach Bayern zeigt nun auch die Landtagswahl in Hessen, dass die alten Volksparteien einer galoppierenden Schwindsucht unterliegen. Sie bekommen Klatsche um Klatsche. Nach der SPD nun auch die Union. Die alten Parteimilieus zerfallen.

Kommentar: Union und SPD dürfen nach
Hessen-Wahl nicht hektisch werden
Foto: SZ/Roby Lorenz

Überall in Europa ist das so. In Deutschland hat die Flüchtlingskrise vor allem bei der SPD den Niedergang enorm beschleunigt; sie verliert nun auch die letzten Arbeiterwähler in Richtung AfD. Der zweite Faktor war Horst Seehofer, der nicht nur die Autorität von Kanzlerin Angela Merkel massiv beschädigt sondern auch dafür gesorgt hat, dass die große Koalition in Berlin bisher keine Minute ruhig arbeiten konnte. Das trifft nun auch den Nimbus von CDU und CSU als Garanten von Stabilität. Ein echtes Eigentor.

Die verbreitete Anti-Groko-Stimmung hat auch am gestrigen Sonntag die Landesthemen in Hessen klar überdeckt. Und dennoch besteht für Union und SPD im Bund kein Zwang, deswegen nun hektisch zu reagieren und das Bündnis zu beenden. Im Gegenteil. Es ist eine Frage der politischen Verantwortung, Neuwahlen zu vermeiden. Denn sie würden nicht nur die Rechten enorm stärken. Für die SPD könnten sie den sofortigen Totaluntergang bedeuten. Auch die Unionsseite würde erheblich verlieren, schon wegen der ungeklärten Führungsfrage nach Angela Merkel. Und welche Koalition dann käme, wäre ebenfalls völlig ungewiss. Nichts würde besser werden. Aber das Land würde mitten in einer Zeit großer internationaler Krisen ins politische Chaos gestürzt.

Zwar muss diese GroKo die letzte gewesen sein, zwar muss auch Bundeskanzlerin Angela Merkel endlich den Wechsel an der Spitze der Union vorbereiten. Aber keiner sollte in Berlin jetzt atemlos durch die politische Nacht rennen. Stattdessen sollten Union und SPD endlich mal konsensorientiert arbeiten und das auch für die Wähler sichtbar machen. So schlecht ist das Programm der großen Koalition nämlich nicht. Voraussetzung dafür ist freilich, dass der Noch-Vorsitzende der CSU, Innenminister Horst Seehofer, aus dem Bundeskabinett fliegt. Er hat die Bundespolitik als Bühne für einen persönlichen Egotrip missbraucht. Für solche Spielchen sind die Zeiten zu ernst.

Dass die Grünen fast überall in Deutschland und jetzt auch in Hessen so stark sind, liegt daran, dass sie es geschafft haben, sowohl prinzipienfest in ihren Kernthemen zu erscheinen, als auch flexibel genug, um konstruktiv mitzuregieren. Angesichts der neuen Parteienkonstellation ist das eine zentrale Eigenschaft.

Auch in Hessen führt das Ergebnis zu äußerst knappen Koalitionsmehrheiten; wer mit wem zusammenarbeitet oder zusammenarbeiten muss, ist fast schon zufällig, hängt von wenigen Stimmen mehr oder weniger ab. FDP-Chef Christian Lindner muss sich fragen, warum nicht seine Partei als Alternative zu den sterbenden Volksparteien gesehen wird. Vielleicht hätte er eine Chance wie ein „Jamaika-Bündnis“ im Bund in solchen Zeiten doch nicht so leichtfertig platzen lassen sollen.

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