Leitartikel Theresa May kann ihr gespaltenes Land nicht einen

Das Brexit-Drama im Königreich sollte eigentlich am heutigen Dienstagabend seinen Höhepunkt erreichen. Dann wollte das Parlament über das Austrittsabkommen abstimmen. Doch Premierministerin Theresa May verließ im letzten Moment der Glaube an ein Wunder – und sagte das Votum ab.

Kommentar: May verschiebt Brexit-Abstimmung
Foto: SZ/Robby Lorenz

All ihr Werben für den ausgehandelten Kompromiss zwischen London und Brüssel war bislang vergeblich – sowohl die Mehrheit der Abgeordneten als auch der Großteil der Bevölkerung sträuben sich gegen den Deal. Manchmal kann man nicht mehr genau ausmachen, ob die Ablehnung dem Scheidungsvertrag gilt oder der Person Theresa May, die ihn fast verzweifelt anzupreisen versuchte. Die Verschiebung der Abstimmung ist bereits eine krachende Niederlage für May.

Sie mag sich nun mehr Zeit verschafft haben, und unter Umständen kann sie in Brüssel kosmetische Änderungen durchsetzen. Dass die EU aber nochmals das Vertragspaket aufschnüren wird, ist ausgeschlossen. Selbst wenn Theresa May etwas bei der EU erreicht, muss sie danach abermals das Land von dem Vertrag überzeugen. Ihre Strategie wird die Premierministerin kaum ändern, dabei ging diese schon jetzt nicht auf. Das liegt vor allem daran, dass May eine äußerst schlechte Verkäuferin ihrer Poltitik ist. Roboterhaft wiederholt sie immer dieselben Sätze, was an sich schon eine bemerkenswerte Leistung darstellt, weil niemand die Kernsprüche mehr hören kann oder will. Unbeholfen erzählte sie wochenlang den EU-Freunden auf der Insel, dass sie doch bitte ihr Abkommen unterstützen sollen, weil sonst ein ungeordneter Austritt ohne Deal drohe. Gleichzeitig warnte May die Brexit-Anhänger davor, dass diese am Ende ohne Brexit dastehen könnten. Was die Premierministerin ignorierte: Die beiden Seiten vernahmen sehr genau, was May der jeweils anderen verklickerte. Es sei, als ob jemand eine private Whatsapp-Konversation auf dem öffentlichen Twitter-Dienst führe, verglich ein Kommentator auf der Insel die zum Scheitern verurteilte Taktik.

Zu Mays größten Misserfolgen gehört zudem, dass sie es verpasst hat, das bereits beim Referendum im Juni 2016 tief gespaltene Land zu einen. Es präsentiert sich heute zerstrittener denn je, die Gräben zwischen Brexit-Anhängern und -Gegnern sind tief. Der vorliegende Kompromiss stellt keineswegs die Brexit-Gegner zufrieden. Der Deal beglückt aber auch nicht die Brexiteers in ihrer Partei, denen sie sich so lange angebiedert und deren Unterstützung May nun trotzdem verloren hat. Nicht einmal die Bevölkerung hat sie hinter sich. Während manche ein erneutes Referendum fordern, wünschen andere, dass der Austritt endlich vollzogen wird. Brexit. Basta.

Dass derweil der Europäische Gerichtshof in Luxemburg entschieden hat, dass das Königreich den EU-Austritt noch stoppen und Mitglied in der Gemeinschaft bleiben könnte, nährt vielleicht die Hoffnungen der EU-Freunde auf dem Kontinent. Doch die gehen völlig an der politischen Realität auf der Insel vorbei.

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