Leitartikel Klima-Proteste treffen das schlechte Gewissen der Politik

Rund 500 Protestzüge! Wohl mehr als jene 350 000 Menschen, die im Mai für den Klimaschutz demonstrierten, werden an diesem Freitag auf deutsche Straßen gehen. Man muss sehr weit zurückdenken, um ein Anliegen zu finden, das hierzulande so viele Menschen mobilisiert hat – sieht man mal von der DDR-Wende ab.

 Ulrich Brenner

Ulrich Brenner

Foto: SZ/Robby Lorenz

Die Nachrüstungsdebatte in den frühen 80ern vielleicht, davor die Anti-AKW-Bewegung. Aber damals war die Auseinandersetzung viel konfrontativer, richteten sich die Proteste gegen erklärte Ziele gewählter Regierungen – die davon auch nicht abrückten. Das Besondere des heutigen Klima-Protests: Er misst die Regierung an ihren eigenen Zielen. Jeder Verantwortliche in Deutschland weiß, dass die nackten Klima-Fakten Konsequenzen nötig machen und die Politik ihre moderaten Zusagen noch lange nicht erfüllt hat.

Der Klimawandel stand lange ganz hinten auf der politischen Agenda. Von Weltfinanz- über Euro- bis zur Flüchtlingskrise, von Irak-Intervention über Arabischen Frühling bis zu Krim-Annexion und Syrien-Krieg – die Regierungen waren im Dauerstress und fuhren auf Sicht. In Brüssel und Berlin konnte man sich zudem bequem hinter der wachsenden Schar schlechter Vorbilder verstecken – allen voran dem Klima-Leugner im Weißen Haus.

Die Fridays-for-Future-Demos wirken, weil sie ein schlechtes Gewissen treffen – bei der Politik, bei jedem Einzelnen, wohl auch bei vielen Demonstranten. Deswegen war auch mancher Kommentar anfangs so giftig, wirkte der Spott so hilflos, der etwa die Ikone der Bewegung, Greta Thunberg, traf.

 Allerdings ist nicht jeder Einwand gegen Forderungen aus der Klima-Bewegung falsch. Mancher benutzt die Debatte, um alte Ressentiments zu pflegen. Da erklären fanatische Vegetarier jeden Fleischkonsum zum Klimafrevel und SUVs werden fälschlich zum Hauptverursacher der Erderwärmung dämonisiert, weil man sie eigentlich schon immer blöd fand. Und berechtigt ist auch das Misstrauen, wenn Altlinke sich mit fundamentaler Kapitalismus-Kritik an die Klimabewegung dranhängen. Das einzige Klimafreundliche am realen, aber notorisch ineffizienten Sozialismus war die Unfähigkeit, genug zu produzieren – fossile Brennstoffe wurden dennoch verheizt. Effizienz aber ist ein Schlüsselwort beim Klimaschutz. Der braucht Anreize und Steuerung, die klare Zuordnung von Umwelt-Kosten etwa durch die Bepreisung von CO2. Und er braucht Innovation.

 Verzicht allein – auf Wärme, Kleidung, Nahrung, Wohnraum, Mobilität und und und – wird die Welt nicht retten. Zumal sie nur zu retten ist, wenn die Lösungen viele Nachahmer finden. Klar ist aber: Wer sonst als die Industrienationen, deren Wirtschaft und Verbraucher am meisten zum CO2-Ausstoß beitragen, kann hier vorangehen? Dass dies nun weitgehend Konsens ist, sich die Agenda der Politik grundlegend verschoben hat, das Sichtfeld in die Zukunft erweitert wurde, ist das historische Verdienst der Fridays-for-Future-Schüler. Respekt!

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