Streit um Posten Europa liefert sich einen Fehlstart nach der Wahl

Das war peinlich. Der EU-Gipfel hat den Start in die neue Legislaturperiode vermasselt. Parteiengezänk und nationaler Egoismus legten jeden Ehrgeiz und jede Begeisterung für einen Aufbruch lahm. Erst scheiterte ein klimapolitischer Neustart für das Stichjahr 2050. Dann verhakten sich die Staatenlenker im Streit um das künftige Führungspersonal.

Gezerre beim EU-Gipfel: Fehlstart nach der Wahl
Foto: SZ/Robby Lorenz

Die Argumente gegen Manfred Weber, Frans Timmermans oder auch Margrethe Vestager sind an den Haaren herbeigezogen. Eine derartige öffentliche Brüskierung hat keiner der drei Kandidaten verdient. Denn im Hintergrund geht es um Machtpolitik. Für das Beispiel Weber heißt das: Es geht nicht um seine Führungserfahrung oder seine Fähigkeiten, die EU nach außen kraftvoll zu vertreten. Webers Hauptproblem besteht darin, dass er Deutscher ist.

Mit solchen Ressentiments und der Furcht vor deutschem Einfluss im Hinterkopf aber lässt sich Europa nicht aufbauen. Es mag Teil des politischen Streits sein, wenn Parteienfamilien miteinander um Einfluss ringen, indem sie die eigenen Kandidaten durchsetzen wollen. Aber solche Diskussionen führt man, bevor Spitzenkandidaten gewählt werden. Dass Macron und etliche andere nun dieses demokratische Modell einer indirekten Wahl des mächtigen Kommissionspräsidenten rundweg ablehnen, schadet allen. Fünf Jahre hatte man Zeit, dieses Vorgehen durch ein europäisches Wahlrecht zu reformieren. Niemand wollte dieses heiße Thema anpacken.

Und so werden inzwischen in Brüssel wieder genau jene Spiele gespielt, die kein Bürger verstehen kann. Manfred Weber wird von den Sozialdemokraten abgelehnt, weil er eben Christdemokrat ist – obwohl ihr eigener Bewerber Frans Timmermans ohne Aussicht auf eine Mehrheit ist. Die Liberalen exekutieren inzwischen nur noch das, was Macron erlaubt. Und die Grünen wollen nur über Themen, nicht aber über Personen reden – lassen aber gleichzeitig eigene Forderungen nach zwei Spitzenämtern durchsickern. Und so macht das Parlament es den Staats- und Regierungschefs nach und blockiert eine Lösung, von der jeder weiß, dass es sie geben muss. Der Joker liegt nun auf der Seite der Volksvertreter. Wenn es ihnen im Zusammenspiel mit Weber als dem Vertreter der stärksten Fraktion nicht gelingt, vor dem Sondergipfel am 30. Juni eine regierungsfähige Mehrheit zu basteln, tritt genau das Szenario ein, das sie verhindern wollten. Dann werden die Staats- und Regierungschefs das Spitzenkandidaten-Modell als gescheitert zu den Akten legen und wieder alle Macht an sich ziehen. Es wäre eine knallharte Entlarvung der Abgeordnetenkammer als unfähig zum Kompromiss.

Die Spitzen der Fraktionen müssen jetzt zeigen, dass sie die Lektion verstanden haben. Es ist gut und richtig, zunächst über Inhalte zu diskutieren. Aber jetzt müssen die Schnittmengen herausgearbeitet werden, um den Weg für die künftige Zusammenarbeit und die personelle Spitze der Union freizumachen. Sonst wird sie diktiert und nicht mehr gewählt. Das kann und darf niemand wollen.

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