Leitartikel Rassismus in den USA Schweigende Mehrheit deckt nun Amerikas Trauma auf

Wieder stirbt ein Afroamerikaner bei einem Polizeieinsatz, wieder schlagen die Emotionen in den USA hoch – und die Flammen in Atlanta, wo Rayshard Brooks starb, nachdem er sich gegen eine Festnahme wehrte, einem Cop das Elektroschockgerät entwendete und dieses dann auf die Beamten richtete.

Donald Trump heizt Rassismus in den USA an
Foto: SZ/Robby Lorenz

Dieser Vorfall kommt für das Land zum ungünstigsten Zeitpunkt – weil er nicht nur die Debatte über das Vorgehen der Polizei gegenüber Minderheiten weiter anfacht, sondern auch jene Kritiker bestärkt, die einen „systematischen Rassismus“ der Ordnungshüter gegenüber Schwarzen sehen. Anders als beim Tod von George Floyd, dem ein Cop fast neun Minuten lang mit dem Knie die Luft abdrückte, war in Atlanta das Vorgehen der Beamten zunächst höflich-professionell. Dann eskalierte die Situation durch den Widerstand des angetrunkenen Autofahrers, was mit dem nicht notwendig erscheinenden Einsatz tödlicher Gewalt endete.

Dass die Stadt Atlanta innerhalb von Stunden den Todesschützen entließ und die Polizeichefin zurücktrat, belegt die Sensibilität, mit dem das brisante Thema nun behandelt wird. Auch wurden die Aufnahmen der Körperkameras der Cops schnell den Medien zur Verfügung gestellt. Diese ungewöhnliche Transparenz soll die aufgebrachten Gemüter beruhigen. Doch anders als bei früheren Vorfällen, wo meist schnell wieder Ruhe einkehrte, wird die Debatte über die Behandlung von Minderheiten diesmal anhalten. Die Wut umfasst – wie der Sturz von Denkmälern zeigt, die vielen Demonstranten als Relikte einer von Rassismus geprägten Vergangenheit gelten – breite Teile einer Gesellschaft, in der sich bisher die schweigende Mehrheit einer Aufarbeitung dieser für Afro-Amerikaner so schmerzhaften Thematik verweigert hat. Doch gerade Amerikas Jugend scheint nicht länger bereit, das Trauma zu ignorieren.

Darauf deuten auch zahlreiche Rücktritte von Persönlichkeiten und Firmenchefs hin, die sich mit dem Vorwurf des Rassismus oder unsensibler Aussagen zum Umgang des Landes mit Afro-Amerikanern konfrontiert sahen und dann unter öffentlichem Druck kapitulierten. Das spricht für einen bisher so nicht dagewesenen Kulturkampf, der zum stärkeren Bewusstsein für die Vergangenheit und aktuelle Situation von Minderheiten in den USA führen kann. Ein solches scheint Präsident Donald Trump nicht zu besitzen. Seine Absicht, seine Wahlkampfauftritte ausgerechnet in der Stadt Tulsa in Oklahoma wieder aufleben zu lassen, mutet fast wie bewusste Provokation an. Denn Trump, der kürzlich Schüsse auf Plünderer angeregt hatte und sich als „Recht und Ordnung“-Präsident verkauft, wählte mit Tulsa jene Stadt, in der 1921 Mobs von Weißen ein afro-amerikanisches Viertel überfielen und bis zu 300 Schwarze töteten.

Trump oder seinen Beratern muss dieses entsetzliche Detail der US-Geschichte bekannt gewesen sein. Dass Trump dennoch in Tulsa bald für sein, wie er sagt, „großartiges Amerika“ werben will, beweist eines: Der Präsident eignet sich nicht dafür, das Land in dieser kritischen Phase mit beruhigender Hand zu leiten.

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