Leitartikel Die Türkei wird ein schwieriger Partner bleiben

Würden die Kanzlerin und der Bundespräsident nur lupenreine Demokraten in ihren Amtssitzen empfangen, hätten die Fahnen-Hersteller deutlich weniger Arbeit. Und auch das Repertoire an Nationalhymnen beim Stabsmusikkorps der Bundeswehr wäre wohl sehr begrenzt.

Leitartikel: Die Türkei wird ein schwieriger Partner bleiben
Foto: SZ/Robby Lorenz

Einen ausländischen Staats- oder Regierungschef kann man sich nicht aussuchen. Man muss sie zunächst einmal nehmen, wie sie sind. Ansonsten erübrigt sich nämlich jede Diplomatie. Das gilt auch für Recep Tayyip Erdogan.

Heftig wurde darüber gestritten, ob der rote Teppich viel zu viel des Guten für den Mann vom Bosporus sei oder nicht. Ob es eine schnörkellose Visite in nüchterner Arbeitsatmosphäre nicht auch getan hätte. Gerade Autokraten neigen allerdings stark zu Pomp und Protz. Sie wollen beeindruckt werden. Und wenn das Ganze den Zweck erfüllt, substanzielle Verbesserungen in den tief zerrütteten Beziehungen zwischen Berlin und Ankara einzuleiten, dann soll’s Recht sein. Doch das muss sich erst noch erweisen.

Nüchtern betrachtet steckt Erdogan in einer ziemlich unbequemen Lage. Sein Besuch in Deutschland  hat zwar einen längeren Vorlauf, aber zuletzt wurde immer deutlicher, dass er Hilfe braucht. Weil ein unberechenbarer US-Präsident auch ihm das Leben schwer macht. Aber vor allem, weil es mit der türkischen Wirtschaft stark bergab geht. Vor diesem Hintergrund könnte Erdogan auch gar nicht mehr mit einer Kündigung  des Flüchtlingsabkommens drohen, das  entscheidend dazu beiträgt, die Zahl der in Deutschland ankommenden Migranten einzudämmen. Erdogan braucht das Geld der EU, das die Türkei für den Deal bekommt. Schon diese Konstellation hätte es Angela Merkel erlaubt, viel bestimmter gegenüber Erdogan aufzutreten.

Noch immer sind Tausende Erdogan-Kritiker in Haft. Selbst in Deutschland können sich türkische Dissidenten nicht sicher fühlen. Erdogans Spitzelapparat ist scheinbar überall. Und was macht die Kanzlerin? Sie kündigt an, dass Wirtschaftsminister Peter Altmaier mit großem Gefolge demnächst nach Ankara reisen wird. Ökonomische Interessen rangieren offenbar eben doch vor Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten. Das ist ein fataler Eindruck.

Merkel hat dem türkischen Gast jedenfalls  nichts Konkretes abgerungen, was diesen Eindruck zerstreuen könnte. Vor der Presse nannte Erdogan den ins deutsche Exil geflüchteten Journalisten Can Dündar einen Agenten, der an die Türkei ausgeliefert gehöre. Der Kanzlerin war das lediglich ein paar distanzierende Allgemeinplätze wert. Das ist schon traurig.

Zweifellos haben Deutschland und die Türkei viele gemeinsame  Interessen. In der Flüchtlingsfrage, im Kampf gegen den Terror und als Nato-Partner. Auch die wirtschaftliche Verfasstheit der Türkei kann Berlin nicht egal sein. Schließlich leben in Deutschland gut drei Millionen Menschen mit türkischen Wurzeln. Für eine wirkliche Normalität in den Beziehungen werden noch viele Gespräche nötig sein. Und endlich auch konkrete Taten von türkischer Seite.

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