Leitartikel In der Misere werden starke Schultern gebraucht

Zu wenig Personal, zu wenig Geld, zu viel Stress. Die Probleme in der Kranken- und Altenpflege sind nicht erst seit der Corona-Pandemie bekannt. Durch die Krise werden sie aber wie unter einem Brennglas sichtbar.

 Stefan Vetter

Stefan Vetter

Foto: SZ/Robby Lorenz

So sind deutsche Krankenhäuser im internationalen Vergleich zwar bestens mit Intensivbetten ausgestattet. Doch was nützt das, wenn es akut an Intensivpflegekräften mangelt? Inzwischen müssen sich gar schon corona-positive, aber symptomfreie Heim- und Klinikbeschäftigte um Pflegebedürftige kümmern, damit die Versorgung in ihren Einrichtungen nicht zusammenbricht. Eine dramatische Situation. Und eigentlich kein guter Zeitpunkt, um über Erfolge im Kampf gegen den Pflegenotstand zu berichten, wie es am Freitag gleich drei Bundesminister in schöner Eintracht getan haben.

Dabei gehört auch das zur Wahrheit: Die amtierende große Koalition hat sich der Misere angenommen wie kaum eine Regierung vor ihr. Davon zeugt gerade die „Konzertierte Aktion Pflege“. Hinter dem Schlagwort verbirgt sich mehr als ein bloßer Debattierklub: So ist die Zahl der Pflege-Azubis bereits deutlich gestiegen. Seit Jahresbeginn muss für die Ausbildung kein Schulgeld mehr entrichtet werden. Für Altenpfleger steigt der Mindestlohn schrittweise bis 2022 deutlich an. Und die Chancen stehen gut, dass es demnächst auch zu einem Tarifvertrag für die gesamte Pflegebranche kommt.

Man kann das immer noch als zu wenig ambitioniert kritisieren. Aber es ist nicht so, dass sich nichts tut. Auch wenn es nur langsam vorangeht. Ausreichend Geld für mehr Pflegestellen bedeutet ja nicht automatisch, dass sich sofort genügend Interessenten finden, um sie zu besetzen. Der Arbeitsmarkt für Pflegekräfte ist leer gefegt. Und Bilder von überarbeiteten Pflegern in der Corona-Krise sind sicher auch keine Werbung für den anstrengenden Job. Erst wenn sich die Arbeitsbedingungen nachhaltig verbessern, wird sich auch das Image des Pflegeberufs wandeln, wird diese Arbeit attraktiver werden. Das braucht Zeit.

Wer allerdings erkannt hat, dass höhere Löhne unverzichtbar sind, genauso wie eine Ausbildungsoffensive und überhaupt bessere Rahmenbedingungen für den Pflegejob, der muss auch klar sagen, wie das alles finanziert werden soll. Hier ist noch vieles im Nebel. Fest steht nur, dass die Zeche nicht von den Pflegebedürftigen selbst beglichen werden kann. Ein dauerhafter Steuerzuschuss, in der Kranken- und Rentenversicherung längst Praxis, ist auch für die Pflegeversicherung zwingend geboten. Beitragssteigerungen sicher genauso. Nur sollte es dabei gerecht zugehen. Kinderlose, die schon jetzt prozentual mehr für die Pflege zahlen, ein weiteres Mal zur Kasse zu bitten, wie es Gesundheitsminister Spahn offenbar vorschwebt, hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun. Besser wäre es, stärkere Schultern stärker einzubinden und dazu beispielsweise die Beitragsbemessungsgrenze in der Pflegeversicherung deutlich anzuheben. An dieser Stelle krankt die Pflegebilanz der Bundesregierung jedenfalls noch erheblich.

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