Corona-Krise Plötzlich ist wieder der starke Staat gefragt

Eine Lehre gibt es nach den ersten sechs Krisen-Wochen in Deutschland schon: Der Staat ist gefordert wie nie. In der Phase des Neoliberalismus ist viel staatliche Daseinsvorsorge zerschossen worden. Und auch viel Vertrauen.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Jetzt wird der starke Staat wieder gebraucht. Helfend, vorsorgend, organisierend. Denn mögen sich noch so viele Menschen umsichtig verhalten, es gibt genug einzelne, die trotz Risikos zur Arbeit gehen, weil das Projekt ja fertig werden muss, oder die schnell noch in das Risikogebiet reisen, weil das Ticket ja gebucht ist. Es gibt sogar welche, die schon Toilettenpapier hamstern.

In freien Gesellschaften scheitert jede Anordnung, wenn die Einsicht der Bürger fehlt. Es ist ein Balanceakt zwischen Vertrauen und Autorität. Auf der Bundesebene geben Gesundheitsminister Jens Spahn und das Robert-Koch-Institut den Menschen bisher durchaus das Gefühl, dass sie im Krisenmodus arbeiten, sich täglich und intensiv koordinieren und ihre Maßnahmen ständig der neuen Lage anpassen. Auch kommunizieren sie intensiv mit der Öffentlichkeit. Das beruhigt. Allerdings gibt es auch schon kritische Punkte: So ist die Zurückhaltung bei der Absage von Großveranstaltungen, darunter auch Bundesligaspielen mit Publikum, kaum mehr zu verstehen. Problematisch ist auch, dass es in den Ländern offenbar unterschiedliche Standards bei Hotlines, Testzentren und Umgang mit Verdachtsfällen gibt. Nicht alle Landesregierungen arbeiten schon im Krisenmodus. Alle Maßnahmen in einer Region nützen bei freiem Reiseverkehr jedoch wenig, wenn in der anderen geschludert wird.

Außerdem zeigt sich: Ärzte und Kliniken sind der Flaschenhals, durch den diese Krise hindurch muss. Wenn sie ausfallen, geht nichts mehr. Warum gibt es für die Beschäftigten des Gesundheitssystems nicht genug Vorräte an Schutzkleidung? Hat man so etwas im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenschutz nie durchgespielt? Wie kann dieses Problem so schnell wie möglich gelöst werden? Nicht auszudenken, wenn das Virus gefährlicher wäre,  als es ist. Dann wäre schon jetzt viel mehr zusammengebrochen.

Die andere große Sorge der Menschen gilt den wirtschaftlichen Folgen. Bisher macht die Bundesregierung zwar den Eindruck, sie habe das Thema im Blick und mit der Ausweitung des Kurzarbeitergeldes und der Liquiditätshilfen für Not leidende Firmen auch die beim derzeitigen Stand der Krise richtigen Mittel im Köcher. Freilich, dass am Sonntagabend der Koalitionsausschuss tagte und sich damit beschäftigte, war eher Zufall. Daraus wird ein dauerhafter Krisenmodus werden müssen, weit oben in der Regierung. Außerdem wird es mit Kreditvergaben nicht reichen; der Gesamtwirtschaft, nicht nur der Reise- und Messebranche, steht eine mächtige Delle bevor, die nach Antworten verlangt. Die große Koalition muss jetzt jeden kleingeistigen Streit unterlassen und alles tun, um die Folgen der Corona-Krise zu mildern. Es gibt in diesem Jahr kein wichtigeres Thema.

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