CDU-Parteitag verschoben Chance für einen Neuanfang im Kandidatenrennen

Annegret Kramp-Karrenbauer hätte am 10. Februar wohl kaum das Handtuch als CDU-Vorsitzende geworfen, wenn sie geahnt hätte, was nur zwei Wochen später folgt. Nämlich Corona, nämlich die völlige Verschiebung aller bisherigen Themen.

 Werner Kolhoff

Werner Kolhoff

Foto: SZ/Robby Lorenz

Hätte, hätte, Fahrradkette. Wie im wahren Leben, so gibt es auch in der Politik die besten Erkenntnisse immer erst im Nachhinein.

Timing ist in einer so dynamischen Krisenzeit schwierig, Fehler sind da programmiert. Geradezu fahrlässig wäre es aber, nicht das zu berücksichtigen, was absehbar ist. Dass die Pandemie jetzt und noch mindestens ein hal­bes Jahr lang die Tagesordnung beherrschen wird, gehört dazu. Das bedeutet: Es wird in den kommenden Monaten um Krisenmanagement gehen, nichts anderes. Nicht um Steuerreformen, Außenpolitik oder innere Sicherheit. Und schon gar nicht um Personen oder die Befindlichkeiten von Parteien.

Dass die CDU die Entscheidung über den Nachfolger Kramp-Karrenbauers in das kommende Frühjahr verschoben hat, war aus mehreren Gründen absolut richtig und sogar notwendig. Es hätte die Partei völlig desavouiert, wenn sie jetzt in Stuttgart oder anderswo mit 1001 Delegierten ein kleines Ischgl der Politik durchziehen würde, während ihre Regierenden die Bürger zum Verzicht auf Reisen und Kontakte aufrufen und bei Nichtbefolgen bestrafen. Das ist ein naheliegender Einwand, und es spricht gegen den Charakter des Kandidaten Friedrich Merz, dass er seinen Ehrgeiz und die Aussicht auf einen kleinen Vorteil über diese Selbstverständlichkeit stellt. Und die CDU auch in dieser Frage spaltet. Person vor Partei vor Land scheint sein Motto zu sein.

Außerdem ist gar nicht die richtige Zeit für eine Personal-Entscheidung, die für Jahre nicht nur die Weichen in der CDU stellt, sondern, da der neue Vorsitzende womöglich Kanzlerkandidat und auch Kanzler wird, auch für Deutschland. Er würde nach Kriterien von heute gewählt werden für eine Welt von morgen, in der es – wenn der Impfstoff kommt – um ganz andere Themen gehen wird. Neuordnung und Wiederaufbau der Wirtschaft, Bewältigung der sozialen Folgen der Pandemie, Schutz vor der nächsten globalen Katastrophe, dem Klimawandel.

Es ist ja jetzt schon so, dass die drei Bewerber, die sich alle kurz vor dem Corona-Ausbruch in Deutschland gemeldet haben, seltsam aus der Zeit gefallen zu sein scheinen. Keiner von ihnen spiegelt wider, was das Land nach dem Ende der Corona-Krise brauchen wird. Eine Person, die ausgleichend wirkt (also nicht Friedrich Merz), die zupacken kann (also nicht Armin Laschet) und die Autorität ausstrahlt (also nicht Norbert Röttgen). Mit einem Parteitag jetzt hätte die Christlich Demokratische Union das unwissentlich schlechte Timing ihrer Vorsitzenden vom Februar sehenden Auges wiederholt. Die Verschiebung bietet der CDU nun die Chance, die ziemlich verunglückte Nachfolgeregelung im Parteivorsitz neu zu starten. Und vielleicht bessere Bewerber zu finden. Mindestens für die Kanzlerkandidatur.

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