Kommentar Eine Prüfung für die Taliban

Die Nato und insbesondere die USA wissen, dass sie gerade alles dafür tun, um den Taliban in Afghanistan Stoff für Legenden in die Hand zu geben. Zum Beispiel so: Da sich die neue US-Administration noch nicht entschieden hat, wie sie sich politisch in dem Konflikt am Hindukusch positionieren soll, wird der versprochene Abzug aller ausländischen Truppen verzögert.

Also hat man das Recht, sie wieder als Gegner anzugreifen. Doch dieses Narrativ ist falsch. Selbst der frühere US-Präsident Donald Trump hatte bei seinem einseitigen und mit den Bündnispartnern nicht abgestimmten Vorschlag eine wichtige Bedingung gestellt: Friedensverhandlungen. Und nicht nur die Teilnahme an solchen Gesprächen hatte das Doha-Abkommen gefordert, sondern auch einen erfolgreichen Abschluss. Dieser Prozess ist jedoch längst im Streit um Regeln und Formalien erstickt. Dabei wäre dieser Weg so etwas wie eine Zwischenprüfung für einen demokratischen Neustart des geschundenen Landes gewesen. Aber nicht nur die Taliban sind untereinander zerstritten, sondern auch die übrigen politischen Kräfte des Landes. Das macht die Angst vor einem erneuten Rückfall Afghanistans in noch mehr Gewalt und Terror zumindest wahrscheinlich. Für die Nato dürfte dies eine Katastrophe sein. Denn es würde den 20 Jahre dauernden Einsatz mit vielen Opfern als wirkungslos erscheinen lassen.

Insofern hat die Nato recht, wenn sie sich von Washington eine politische Initiative erhofft, hinter der sich alle versammeln können. Der geplante Abzug muss verschoben werden, um für einen erfolgreichen Friedensprozess Zeit zu gewinnen. Dabei geht es nicht um Jahre, sondern um ein paar Monate. Wenn die radikalen Taliban darin einen Grund sehen, wieder zur Gewalt zu greifen, entlarven sie sich selbst. Sie müssten im Gegenteil ein eigenes Interesse an einem solchen Fortgang des Prozesses haben, um sich als politisch ernstzunehmende Kraft zur weiteren Gestaltung des Landes zu erweisen. Afghanistan soll zukünftig seinen Weg gemäß dem Willen des Volkes finden – nicht von ausländischen Truppen erzwungen, aber eben auch nicht von den Extremisten unter den Taliban in die Vergangenheit zurückgebombt. Die Nato-Tagung hat, obwohl sie in diesem wichtigen Punkt ohne klare Aussage blieb, gezeigt, dass die Vereinigten Staaten wieder mit den Verbündeten zusammenzurücken. Denn das ursprüngliche Motto „Zusammen rein, zusammen raus“ war und bleibt richtig.

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