Gefällig war nicht ihr Ding Selbstkritisch und schonungslos ehrlich

Bonn · Gefällige Motive waren nicht ihr Ding. Ihre Devise lautete: „Ich will wahr sein, echt und ungefärbt“. Auch 75 Jahre nach dem Tod von Käthe Kollwitz haben ihre Werke nichts von ihrer Eindringlichkeit verloren.

Die Erfahrung von Trauer und Verlust und die bedrückenden Umstände ihrer Zeit haben nicht nur ihr Leben geprägt – sie haben auch Spuren im Gesicht von Käthe Kollwitz hinterlassen. Die Selbstbildnisse der großen deutschen Künstlerin sind selbstkritisch und schonungslos ehrlich. Vor 75 Jahren, am 22. April 1945 – gut zwei Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs – starb die Grafikerin und Bildhauerin im sächsischen Moritzburg.

In einer Epoche, die Künstlerinnen allenfalls gefällige Motive zugestand, legte sie mit ihren sozialkritischen, meist in schwarz-weiß gehaltenen, ausdrucksstarken Zeichnungen, Lithographien und Holzschnitten den Finger in die Wunden der Zeit. Sie erlebte zunächst das Kaiserreich, dann den Ersten Weltkrieg, die Weimarer Republik, das NS-Regime und den Zweiten Weltkrieg. Ihre Erlebnisse – Not, Krieg, Hunger, Tod, Verbundenheit zwischen Mutter und Kind – reflektiert sie nicht nur in ihren Tagebüchern, sie spiegeln sich auch in vielen ihrer Kunstwerke.

Einen Überblick über ihr Werk gibt die Dauerausstellung im Käthe Kollwitz Museum in Köln, sobald man sie denn wieder besuchen kann. Wüsste man nicht, dass im vierten Stock der Neumarkt-Passage noch ein ganz besonderer Schatz in der Domstadt zu finden ist, man würde über der Shopping-Meile kaum die weltweit größte Sammlung der Künstlerin vermuten. In ihrem 75. Todesjahr legt man dort den Blick auf die persönlichen Aspekte ihres umfangreichen Werks, unter anderem mit der zweiteiligen Sonderausstellung „Liebe und Lassenmüssen“, die vom 5. August bis 27. September das Thema „Liebe“ im Werk von Käthe Kollwitz in den Fokus stellen soll – wenn es die Corona-Krise bis dahin wieder zulässt.

In dem Kölner Museum sind die bekanntesten Werke der Künstlerin vereint: Die Zyklen „Ein Weberaufstand“ etwa, entstanden zwischen 1893 und 1898, und „Bauernkrieg“ (1903-1908), die Holzschnittfolgen „Krieg“ (1922-1923), „Proletariat“ (1925) und die acht Lithographien zum Thema „Tod“ (1934-1935). Den Tod ihres 1914 gefallenen Sohnes Peter greift sie immer wieder auf, so auch in ihrer berühmten Bronzeplastik „Pieta“, deren vierfach vergrößerte Kopie 1993 als Zentrale Gedenkstätte der BRD für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft in der Berliner Neuen Wache errichtet wurde. Fast scheint es, als hätte sie ihr eigenes Leid „in Stein gemeißelt“. Auch die letzte Lithographie von Käthe Kollwitz „Saatfrüchte sollen nicht vermahlen werden“ aus dem Jahr 1942 ist in Köln zu sehen – eine Mutter, die schützend ihre Arme um ihre drei Kinder legt; das Vermächtnis der Künstlerin gegen Soldatentod und Krieg.

Käthe Kollwitz als Frau, Mutter und Künstlerin, as alles spiele eine Rolle, um ihr Werk zu verstehen, erläutert Hannelore Fischer, seit 1990 Direktorin der Kölner Sammlung. Die ostpreußische Herkunft der Künstlerin, sie wurde 1867 in Königsberg geboren, bringe zudem eine „gewisse Erdenschwere mit“. Viele Betrachter hielten die Künstlerin für schwermütig. Manchen ihrer leidenden Gestalten habe sie ihren eigenen Gesichtsausdruck verliehen. „Diese dunkle Seite in ihr existiert durchaus“, erläutert Fischer. Gleichwohl sei die Künstlerin aber ein Mensch voller Lebensfreude gewesen.

Die Besucherzahlen – inzwischen haben mehr als eine Million Menschen den Weg in das Museum gefunden – zeigen, dass die Künstlerin auch viele Jahrzehnte nach ihrem Tod noch etwas zu sagen hat. „Mensch, werde wesentlich“, dieser Satz von Angelus Silesius war eine der Lebensdevisen von Käthe Kollwitz. Dieses Wesentliche ziehe sich durch alle ihre Werke, und das spürten auch heutige Betrachter, so Fischer.

Denn es sind ihre zeitlos-aktuellen Themen, die bewegen: Krieg, Armut und Tod, aber auch Liebe, Geborgenheit und das Ringen um Frieden. „Man fühlt sich angesprochen, und jeder bringt eigene Erfahrungen mit.“ Kunst, die Leid abbildet und vielleicht so dem Betrachter zeigt, dass er in seinen Abgründen nicht alleine ist. „Ich will wirken in dieser Zeit, in der die Menschen so ratlos und hilfsbedürftig sind“. Kollwitz sagte das im Jahr 1922 – knapp hundert Jahre später scheint ihr Werk Betrachter noch immer zu trösten.

(kna)
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