Digitalisierung im Museum Vom passiven Besucher zum aktiven Entdecker

Karlsruhe · Die neue „Expothek“ des Badischen Landesmuseums in Karlsruhe verbindet archäologische Originale mit digitaler Technik.

 Interaktives Museumserlebnis: Die Objektrecherche mit dem eigenen Smartphone erweckt alte Gegenstände zu neuem Leben.

Interaktives Museumserlebnis: Die Objektrecherche mit dem eigenen Smartphone erweckt alte Gegenstände zu neuem Leben.

Foto: dpa/Uli Deck

(kna) Der aus dem Hinterhalt abgeschossene Pfeil streckt den stolzen Keltenkrieger nieder. Jede Hilfe kommt zu spät. Dann wechselt die Szenerie: Trauernde stehen am Grab des Kriegers. Dank 3D-Brille und Augmented-Reality-Technik werden Besucher der neuen „Expothek“ im Karlsruher Landesmuseum zu Zeugen des Mordes vor zwei Jahrtausenden. Dabei geht es den Museumsmachern mit ihrem bundesweiten Pilotprojekt um mehr als Computersimulationen und technische Spielereien. „Wir bieten ein neues Miteinander von digitaler und analoger Welt und damit ein bislang nicht mögliches, auf die persönlichen Interessen jedes Besuchers zugeschnittenes Museumserlebnis“, verspricht Museumschef Eckart Köhne. Aus passiven Betrachtern sollen aktive Entdecker werden.

Deshalb bleiben die tödliche Pfeilspitze und die kostbaren Grabbeigaben nicht nur Computeranimation, sondern sind als Originale im neuen Ausstellungsbereich „Archäologie in Baden“ ausgestellt. Doch anders als gewohnt sind die Benutzer künftig ausdrücklich eingeladen, ihre Lieblingsobjekte genauer zu studieren und sogar selbst in die Hand zu nehmen.

„Wir haben alle 1300 ausgestellten Objekte nach einem Ampelsystem eingeteilt. Grüne können auf dem speziellen Untersuchungstisch selbst untersucht, Gelbe ohne Schutzglas angeschaut werden. Nur die wenigen rot klassifizierten Ausstellungsstücke müssen aus konservatorischen Gründen in der Vitrine bleiben“, sagt Historiker Alexander Wolny, der eigens für das neue Projekt zum Landesmuseum kam und nun „Chief-Explainer“(Chef-Erklärer) mit weißem Laborkittel und markanter dunkler Brille ist.

Gerade legt er einem Besucher der Mitte Juli  eröffneten Expothek ein 7000 Jahre altes Steinwerkzeug vor. „Es diente zur Holzbearbeitung und wurde mit unglaublicher Kunstfertigkeit und Geduld geschliffen. In einer Zeit, in der die Menschen noch keine Eisenwerkzeuge kannten“, so Wolny. Wer einen solchen Fund einmal in der Hand halten kann, davon ist der Historiker überzeugt, entwickelt Respekt und Achtung für die Leistung der steinzeitlichen Handwerker. „So etwas löst Emotionen aus, und das ist genau das Ziel unseres neuen Ansatzes.“

Als Labor für das Museum der Zukunft gilt die Expothek. In den kommenden Jahren wird das gesamte, im Karlsruher Schloss beheimatete Landesmuseum saniert und umgestaltet. Es versteht sich als umfassendes kulturhistorisches Ausstellungshaus und hat bedeutende Sammlungen mit rund 300 000 Objekten – von der Ur- und Frühgeschichte über antike Kulturen, das Mittelalter und die Barockzeit bis ins 21. Jahrhundert.

Die neue Digitaloffensive weckt bereits das Interesse von Museumsleuten aus ganz Deutschland, wie Expothek-Projekleiterin Carolin Freitag berichtet. Sie koordiniert die aufwendige Computertechnik und sorgt für eine schlichte und klare Designsprache der Ausstellungsräume. Auf einem zentralen Medientisch können Besucher künftig Fotos und Informationen zu den Einzelobjekten recherchieren. Es gibt Audioführungen und für Kinder und Jugendliche spielerische Ansätze. Wenn etwa alle virtuell in den Vitrinen versteckten Tiere gefunden sind, galoppiert ein digitales Mammut los: Eine der Ideen, die die Museumsmacher gemeinsam mit einem Team von Konstanzer Studenten entwickelt haben.

Wie im Alltag wird in der Ausstellung das Smartphone zum ständigen Begleiter. Jeder Besucher kann ein individuelles Nutzerkonto anlegen, in dem dokumentiert wird, welche Themen und Ausstellungsstücke er oder sie bereits erforscht hat. „Auch von zu Hause aus kann dann über die ständig wachsende Internetseite recherchiert werden“, so Freitag. Möglich sind zudem dreidimensionale Darstellungen, die Besucher per aufwendigem Scan selbst in die Datenbank einstellen können. „Es ist eine Art Demokratisierung der Museumsarbeit, weil sich Benutzer direkt einbringen können“, sagt die Projektleiterin.

Museumschef Köhne, der auch Präsident des Deutschen Museumsbunds ist, beschreibt die Digitalisierung als große Chance für das Museum der Zukunft. „Niemand will sich heute noch von einem Ausstellungsmacher vorschreiben lassen, was er wie zu sehen oder sogar zu denken hat. Es geht um individuelle Erlebnisse. Die wollen wir möglich machen.“

Zweitens geht es Köhne um Transparenz: Mittelfristig sollen möglichst alle Sammlungsobjekte des Landesmuseums digitalisiert und damit zugänglich werden. „Wir sind eine öffentliche Sammlung, damit gehören unsere Kultur- und Kunstschätze den Bürgern. Und dies muss auch erfahrbar sein, dies ist Teil unseres Bildungsauftrags.“

Diese Schritte, so der Appell des Museumsmanagers, seien nur möglich, wenn die Museen besser finanziert würden. Fast überall seien die öffentlichen Etats in den vergangenen Jahren kleiner geworden, viele Einrichtungen würden schleichend ausgezehrt. „Wir brauchen jetzt ein Umsteuern der Politik, schöne Sonntagsreden helfen nicht weiter“, so Köhne. Die auch mit Sondermitteln des Landeswissenschaftsministeriums ermöglichte Expothek soll zeigen, wozu moderne Museen heute in der Lage sind.

 Im Expolab kann man mit einer VR-Brille in vergangene Welten eintauchen.

Im Expolab kann man mit einer VR-Brille in vergangene Welten eintauchen.

Foto: dpa/Uli Deck

Geöffnet: Di-Do 10-17 Uhr, Fr/Sa/So bis 18 Uhr.

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