Ausstellung in Neunkirchen Zeichnen mit Schere und Skalpell

Neunkirchen · Die Städtische Galerie Neunkirchen beleuchtet mit „Scharf geschnitten – Vom Scherenschnitt zum Papercut“ ein uraltes künstlerisches Verfahren.

 Birgit Knoechel, The Autonomy of Growth, Papier, Tinte, variable Rauminstallation, 2018, Foto: Peter Oppenländer

Birgit Knoechel, The Autonomy of Growth, Papier, Tinte, variable Rauminstallation, 2018, Foto: Peter Oppenländer

Foto: Foto: Peter Oppenländer/Städtische Galerie Neunkirchen/Foto: Peter Oppenländer

Als Henri Matisse mit über 70 Jahren keinen Pinsel mehr halten konnte, musste er sich etwas einfallen lassen. Er nahm eine Schere, schnitt Formen aus Papier aus und verschob sie dann mit Hilfe einer Assistentin so lange, bis ihm die Komposition gefiel. Es entstand der farbenfrohe Bilderzyklus „Jazz“, der mit seiner Expressivität und Schärfe heute zu den wichtigsten Künstlerbüchern des 20. Jahrhunderts gehört.

Seine Blütezeit erlebte der Scherenschnitt in Deutschland schon um 1800, als schwarze Silhouetten als Porträts in Mode waren und der Frühromantiker Philipp Otto Runge florale Motive ersann. Nach Matisse’  Neuentdeckung geriet der Scherenschnitt wieder in Vergessenheit. Für die Nachkriegskunst war die Arbeit mit der Schere wohl zu emotionslos und zu wenig direkt und spontan.

Eine Renaissance erlebte die künstlerische Technik erst wieder Mitte der 1990er-Jahre durch die Afroamerikanerin Kara Walker. Deren farbig angestrahlte Panoramen wirken auf den ersten Blick wie idyllische Märchengeschichten, die sich bei näherem Hinsehen allerdings als brutale Szenen entpuppen, mit denen sie Sklaverei und Rassismus anprangert. Die Städtische Galerie Neunkirchen präsentiert mit „Darkytown Rebellion“ aus dem MUDAM in Luxemburg eines ihrer bedeutendsten Werke.

Die sehenswerte Schau zeigt die ganze Bandbreite der Papierschnitttechniken. Das Papier ist dabei nicht mehr Bildträger, sondern wird selbst künstlerisches Material, wie etwa bei den grandiosen Papierskulpturen der Schottin Georgia Russell. Aus Büchern schneidet sie mit dem Skalpell Objekte aus Papierstreifen, die an rituelle Masken erinnern.  Auch die Wienerin Birgit Knoechl lässt das flache Material in den Raum wachsen. Sie formt riesige Knäuel, die wie wilde Gewächse aus der Wand zu wuchern scheinen.

Olaf Nicolai und Marcel Odenbach bleiben näher an den Arbeiten von Altmeister Runge. Als Collage aus Zeitungsfotos bildet Odenbach dekorative Blumenmotive nach und verleiht ihnen so eine zweite, politische Sinnebene. Nicolais Pflanzen sind dagegen streng symmetrische und genau kalkulierte Konstrukte, die den Gegensatz von Natürlichem und Künstlichem hinterfragen.

Viele Künstler entwickelten die Technik aber weiter. Lena von Goedeke entwirft etwa mit einem Computerprogramm zur 3D-Modellierung Landschaften als plastisch wirkende Drahtgittermodelle, die sie im Anschluss von Hand in Papier schneidet.  HBK-Professorin Katharina Hinsberg „zeichnet“ mit dem Skalpell ausgehend von der Linie als Grundelement der Zeichnung in seriellen Folgen immer neue räumlich-abstrakte Netze. Katja Pfeiffers abstrakt anmutende Strukturen aus Pressspan verbinden sich erst im Schattenwurf an der Wand zu einem erkennbaren Motiv.

Die Ausstellung entstand in Kooperation mit der Städtischen Galerie Stihl Waiblingen, wo sie in Kombination mit historischen Positionen zu sehen war. Die Städtische Galerie Neunkirchen konzentriert sich dagegen mit 15 zeitgenössischen Künstlern ganz auf die heutige Auseinandersetzung mit der Technik des Scherenschnitts.

 Kara Walkers „Darkytown Rebellion“ (Papierschnitt und Wandprojektion aus der Collection des Luxemburger Mudam)

Kara Walkers „Darkytown Rebellion“ (Papierschnitt und Wandprojektion aus der Collection des Luxemburger Mudam)

Foto: Rémi Villagi/Städtische Galerie Neunkirchen/Rémi Villaggi
 Birgit Knoechls variable Rauminstallation „The Autonomy of Growth“ (Papier, Tinte).

Birgit Knoechls variable Rauminstallation „The Autonomy of Growth“ (Papier, Tinte).

Foto: Peter Oppenländer/Städtische Galerie Neunkirchen/Peter Oppenländer

Bis 22. Juli. Mi, Do, Fr: 10 bis 18 Uhr; Sa: 10 bis 17 Uhr; So: 14 bis 18 Uhr.

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