Festspiele in Bayreuth Wo kommen nur die ganzen Wagners her?

Bayreuth · Nie waren die „Meistersinger“ in Bayreuth komischer und selten politischer als bei Regisseur Barrie Kosky. Ein Glanzstück.

 Feiern kann man zur Not ja auch vor Gericht: Regisseur Barrie Kosky verlegt weite Teile der „Meistersinger von Nürnberg“ in die Szenerie der Nürnberger Prozesse, in denen von 1945 an über die wichtigsten NS-Kriegsverbrecher geurteilt wurde.

Feiern kann man zur Not ja auch vor Gericht: Regisseur Barrie Kosky verlegt weite Teile der „Meistersinger von Nürnberg“ in die Szenerie der Nürnberger Prozesse, in denen von 1945 an über die wichtigsten NS-Kriegsverbrecher geurteilt wurde.

Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/Enrico Nawrath

Schaden kann’s nicht, vor dem langen „Meistersinger“-Abend in Bayreuth noch die Villa Wahnfried anzusteuern. Um mal das Original in den Blick zu nehmen: Wie residierte der alte Richard eigentlich so? Feudal natürlich. „Die Welt ist mir schuldig, was ich brauche“, war schließlich Wagners Maxime. Beeindruckt schon, was man da zwischen lila Salon (eher ein Stübchen für Gattin Cosima) und den Folianten im großen Saal (der Universalkünstler liebte jedwede Lexika) zu staunen bekommt. Und: Man hat dann einfach mehr von Barrie Koskys Bravourstück. Für das man ihn jetzt fast auf dem Grünen Hügel so richtig gefeiert hätte. Beinahe. Nach dem ersten Aufzug gab’s schon Applaus in Orkanwucht. Dreieinhalb Opernstunden weiter flaute der Beifall im Festspielhaus aber merklich ab. Auch Buhs zogen auf. Manchem war’s wohl doch zu heiter, anderen wohl zu polemisch, was Kosky da angerichtet hat.

Egal, der Intendant der Komischen Oper in Berlin hat dem Namen seines Hauses jedenfalls Ehre gemacht – und die „Meistersinger“ mit Humor wie politischem Biss unverkrampft angepackt. Wohltuend bei diesem so durchexaminierten und zur überdeutschen Oper deklarierten Werk. Dem just in Bayreuth noch mehr aufgebürdet wurde: Hat doch Richards Enkel Wieland, der Hitler „Onkel Wolf“ nennen durfte, anno ’43 bei den „Meistersingern“, die quasi als Durchhalteparole inszeniert wurden, fürs passende nationale Bühnenbild gesorgt. Wer könnte da die Oper einfach nur so hören wollen? Doch dem hat Kosky, übrigens der erste Nicht-Wagner nach dem Krieg, dem man bei den Festspielen die „Meistersinger“ anvertraute, jetzt geradezu Befreiendes entgegengesetzt.

Wie geht das? Er katapultiert uns mitten rein zu den Wagners, in den großen Saal von Wahnfried“. Irgendwann so um 1875. Könnte auch eine TV-Comedy sein. Titel: „Diese Wagners“. Richard war gerade mit den Hunden raus, Cosima hat wieder Migräne und Schwiegerpapa Franz Liszt lümmelt auf einem Fauteuil. Wahrscheinlich hängt er seinen Glanzzeiten nach, als er ein Klavier-Star war, umschwärmt von den Damen. Jetzt frömmelt er vor allem. Doch zum Vorspiel des ersten Aufzugs, das Dirigent Philippe Jordan vif und pathosfrei aus dem Graben schickt, zieht es den Tastenlöwen dann doch ans Klavier. In Wahnfried aber kann es nur einen Meister geben: Richard schubst Lizst vom Klavierbänkchen und lässt selbst die Hände fliegen. Bis sich der Flügel-Deckel öffnet. Lauter kleine Wagners springen heraus. Und dann noch die Meistersinger. Sind ja auch alles Wagners Geschöpfe. Bald sitzen sie gemütlich Kaffee nippend, als Lebkuchen mümmelnde Karikaturen ihrer selbst, bei Wagner.

Und schon verwandelt sich Richard Wagner in Hans Sachs, Liszt in Veit Pogner, Cosima wird zu Eva, um deren Hand die Sänger bald zum Wettstreit antreten. Und der jüdische Dirigent Hermann Levi, der zwar den „Parsifal“ uraufführte, in Wahnfried aber eher ungeliebter Gast, wird vom Hausherrn – was für ein köstlicher Inszenierungseinfall! – während des Eröffnungschorals quasi katholisch gemacht. In dem Wagner den Armen zum Beten auf die Knie nötigt. Dieser Levi kann also nur den Beckmesser geben. Die meistdiskutierte Figur in Wagners Großwerk. Konzentrierte der in ihm seinen Antisemitismus? Der just dann schäumte, wenn ein Konkurrent Jude war. Oder skizzierte er mit dem Beckmesser ein Spottbild des Kritikers Eduard Hanslick. Vielleicht auch beides? Kosky, selbst Jude, langt jedenfalls mit beiden Händen hin, spottet, lässt parodieren, als sei’s eine Komödie von Mel Brooks.

Schon dafür muss man den Regisseur und sein Ausstattungsteam (Bühne: Rebecca Ringst/Kostüm: Klaus Bruns) preisen. Kosky aber nimmt die Chose auch politisch. Zum Ende des ersten Aktes verschwindet Wahnfried. Und die Bühne wird zum Gerichtssaal der Nürnberger Prozesse. Da steht dieser Wagner/Sachs plötzlich in den Schranken eines Weltgerichts. Und schaut sich um: Mensch, Richard, was hat man bloß mit dir gemacht? Wer hat deine Werke nur so missbraucht? Auch und gerade in Bayreuth.

Und das Gericht bleibt Kulisse, bleibt ständige Mahnung. Auch wenn zum Schluss Sachs die Meister und die „heil’ge“ deutsche Kunst lobt. Und vor dem „Welschen“ warnt. Dem Fremden könnte es in diesen Tagen wohl besser heißen. Nein, man kann die „Meistersinger“ eben doch nicht einfach nur so hören. Auch wenn gerade bei Michael Volle dieser Sachs ein purer Hörgenuss ist: Wie viele Facetten hat diese Stimme! Welcher Wohlklang, aber auch welche Finessen tönen da mit!

Auch beim Beckmesser lässt Kosky nicht die Klarheit fehlen. Der Regisseur setzt ihm einen Schwellkopf auf. Eine Fratze wie vom NS-Hetzplakat des „ewigen Juden“, später sogar noch zum Ballon aufgeblasen. Übertrieben? Nach immerhin fast 70 Jahren Bundesrepublik? Ganz sicher nicht, wo in Berlin eben jetzt eine jüdische Buchhandlung schließen musste, weil sich die Inhaber bedroht fühlten. Von Linken! Trotzdem schafft es Johannes Martin Kränzle aber mit enorm nuancenreichem Bariton diese Rolle und Partie sehr vielschichtig aufzufächern: von lächerlich bis hin zu tragisch. Grandios. All das packt Kosky in seine „Meistersinger“: Klingt nach viel – und ist es auch, wenngleich es für fünf Opernstunden dann doch nicht ganz reicht. Im langen dritten Aufzug wirkt vieles dann wie längst gesagt.

Zum Glück kann musikalisch davon keine Rede sein. Sängerisch setzt Bayreuth 2017 mit diesen „Meistersingern“ endlich wieder mal Maßstäbe. Klaus Florian Vogt überstrahlt mit elegant geführtem Tenor als Stolzing alle. Immer noch ein jugendlicher Held, obwohl er schon 2007 bei den vorigen „Meistersingern“ am Hügel dabei war. Wiebke Lehmkuhl als Magdalene und Günther Groissböck (Pogner) komplettieren die Reihe der Glänzenden. Nur Anne Schwanewilms als Eva hat bei der Premiere noch nicht ihre Form gefunden. Eng und scharf wird ihr Sopran öfters und kann sich nicht durchsetzen, obwohl Philippe Jordan stets auf die Balance zwischen Orchester und Sängern achtet.

 Ganz der Richard: Auch Startenor Klaus Florian Vogt als Stolzing sieht aus wie Wagner höchstpersönlich.

Ganz der Richard: Auch Startenor Klaus Florian Vogt als Stolzing sieht aus wie Wagner höchstpersönlich.

Foto: Bayreuther Festspiele/Enrico Nawrath/Enrico Nawrath

Doch auch der Schweizer Dirigent, erstmals in Bayreuth am Pult, schafft es nicht, den famosen Eindruck von Beginn bis zum Ende zu bewahren. Die kunstvolle Struktur, das polyphone Gewebe der Partitur verlangen enorme Exaktheit. Doch je länger, desto schludriger leider auch der Abend. Noch keine Schweizer Präzisionsarbeit.

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