Wieso man sich nach der eigenen Wahrheit strecken soll

Der schwedische Posaunist Christian Lindberg (58) ist derzeit „Artist in Focus“ des Saarländischen Staatsorchesters. Am kommenden Sonntag bringt er zum 2. Sinfoniekonzert des Klangkörpers eine sehr persönliche Komposition mit in die Saarbrücker Congresshalle: „The tale of Kundraan“. Auftragswerke verfasste er für das Chicago Symphony Orchestra und das Scottish Chamber Orchestra. SZ-Mitarbeiterin Astrid Karger hat mit Lindberg, der Chefdirigent des Nordischen Kammerorchesters ist, über seine Komposition und seine Arbeit gesprochen.

 ,,Es ist einfach erfüllend, alles in der Hand zu haben“, sagt Christian Lindberg, hier bei den Proben mit dem Staatsorchester.

,,Es ist einfach erfüllend, alles in der Hand zu haben“, sagt Christian Lindberg, hier bei den Proben mit dem Staatsorchester.

Foto: Astrid Karger

Wer ist Kundraan?

Lindberg: Kundraan ist eine Faust-Figur. Das Stück ist eine Trilogie, der Gedanke dazu kam mir vor langer Zeit, etwa 2008. Ich reiste durch die Welt und traf viele Menschen meines Alters, so um die 50 und jünger. Menschen wie ich, ehrgeizige Menschen, die etwas erreichen wollen, sanft und nett. Aber ihr Ehrgeiz, ihre Zielgerichtetheit entfernt sie von sich selbst, sie verlieren sich. Ich nutze Luzifer, den gefallenen Engel des Lichts, als die Gestalt, die ihnen das antut, sie dazu verführt, sich untreu zu werden. Es ist ein Bild, wir nennen Luzifer, was uns zerstört, denn Menschen brauchen immer eine Erklärung. In meiner Vorstellung sind auch Jesus oder Gott von Menschen erdacht. Nur durch Denken ist das Leben nicht zu verstehen, der eigentliche Gegenstand unseres Denkens bleibt nicht fassbar. Darum erfinden wir Luzifer, vergeben Etiketten. Kundraan ist ein moderner Mensch, ein Erfolg suchender Künstler. Für diesen Erfolg tut Kundraan allerdings Dinge, die seine Fähigkeit zu echter Liebe verkümmern lassen.

Sie dirigieren, spielen Posaune und verkörpern Kundraan, richtig?

Lindberg: Ja, zu Beginn rufe ich laut "Mein Name ist Kundraan, ich stecke voller vulkanischer Schätze." Kundraan ist grob und direkt, aber wahrhaftig. Luzifer zeigt ihm die Tricks, um weiterzukommen, um andere auszunutzen. Ich nehme drei Rollen ein, ich spiele, spreche, dirigiere. Es ist recht virtuos, schon das Komponieren war eine Herausforderung.

Sie trauen wohl niemandem, wenn Sie alles selbst machen wollen?

Lindberg: Ja, Kontrollfreak - nein, es ist einfach erfüllend, alles in der Hand zu haben, alles genau so machen zu können, wie man es sich vorstellt. Außerdem bin ich der Einzige, der Kundraan kennt! Er steht für meine eigene Erfahrung. Als Künstler erlebt man früh, dass es wenig zählt, was man kann, aber sehr viel, wie man sich verkauft. Kartellbildung, Korruption, fast wie in der Geschäftswelt.

Aber Sie sind mit Ihrem sehr individuellen und persönlichen Ansatz erfolgreich . . .

Lindberg: Auch ich habe zu Beginn meiner Karriere Agenten vertraut, die sprachen aber nur von Image und von Markenbildung. Unerträglich. Ich beschloss, fortan immer nur meinem Weg zu folgen. Kein Künstler, kein Komponist sollte Erfolg um des Erfolgs willen anstreben. Nach der eigenen Wahrheit sollte man sich strecken. Kundraan kann schließlich wieder in den Spiegel blicken.

Laufen Sie als zeitgenössischer Komponist Gefahr, Teil einer subventionierten Kulturmaschine zu werden und Erwartbares hervorzubringen?

Lindberg: Man muss tun, was man tun will, nicht, was die Menschen vielleicht erwarten. Mein Glück war, dass ich so spät begonnen habe, zu komponieren. Mein Freund Jan Sandström (Sandström komponierte für Lindberg das "Motorbike Concerto, A.d.R.) sagte: "Mit 39 bist Du frei wie kein anderer. Du musst keine Karriere mehr machen, kannst machen, was Du willst. Mach einfach Dein Ding."

Uraufführung am Sonntag, 11 Uhr (sowie am Montag, 19 Uhr) im Rahmen des 2. Sinfoniekonzerts des Saarländischen Staatsorchesters in der Congresshalle.

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