Wie machen die Österreicher das nur?

Wer eigentlich ist verantwortlich für all die an die Schmerzgrenze gehenden dramaturgischen Kniffe, die auch dieses Jahr wieder einige Wettbewerbsfilme heimsuchen und konfektionieren? Redakteure der beteiligten TV-Sender? Oder waren die Drehbuchautoren derart "was-hatten-wir-noch-nicht"?-fixierte Handlungsgerüstbauer, so dass sie Mutter und Tochter gleichzeitig schwanger werden (in "Wann endlich küsst du mich?") oder einen Witwer in der Hochzeitsnacht die Urne seiner Ex ausbuddeln lassen (in "Die Reste meines Lebens")? Mag sein, dass Glaubwürdigkeit kein Kriterium ist, mit dem Fiktionen beizukommen ist: Plausible Figuren und funktionierende Szenen sind es.

 Elisabeth Wabitsch in der Rolle der Paula in Monja Arts herausragendem österreichischem Wettbewerbsbeitrag „Siebzehn“. Foto: Filmladen

Elisabeth Wabitsch in der Rolle der Paula in Monja Arts herausragendem österreichischem Wettbewerbsbeitrag „Siebzehn“. Foto: Filmladen

Foto: Filmladen

Jens Wischnewskis (mit Christoph Letkowski und Luise Heyer, aber auch mit Hartmut Volle in einer Nebenrolle als Rekonvaleszent nach Schlaganfall) glänzend besetztes Debüt "Die Reste meines Lebens" schwächt seine Geschichte immer wieder durch holzschnittartige Einfälle. Erzählt wird von einem USA-Rückkehrer, dessen schwangere Freundin an einem verschluckten Fleischstück stirbt, woraufhin Schimon postwendend Trost bei einer (abenteuerlich eingeführten) Zufallsbekanntschaft findet, die als Krankenhausclown Kinder in den Tod begleitet (und auch schwanger ist). Dass er ein Swing-Stück für einen Toilettengänge musikalisch unterlegenden Sanitärbetrieb komponiert, mag man auch noch hinnehmen. Dass die WC-Führungsriege den Song aber in Schimons altem Kinderzimmer abnehmen soll, ist symptomatisch für diesen Film. Zu oft will er originelle Szenen generieren.

Dabei funktioniert er ohne hyperkonstruiertes Beiwerk sehr viel besser. Und entfaltet dann recht überzeugend sein eigentliches Thema: Wie ein Mensch von seiner verdrängten Trauer eingeholt wird. So aber muss sich dieser Film seine Eindringlichkeit gegen unnötige Drehbuchschwächen Mal um Mal zurückerkämpfen.

Heute, 19.15 Uhr: CS 1; Fr, 17.15 Uhr: CS 3; Fr, 22.15 Uhr, CS 2; Sa, 15 Uhr: FH; So, 18.15 Uhr: CS 5.

Was passiert, wenn ein Film sich gewissermaßen Originalität auf Rezept verschreibt, zeigt Julia Ziesches Familienkomödie "Wann endlich küsst du mich?" Dabei ist Ziesches Film um einiges besser, als der hanebüchene Plot erwarten lässt: Doris, zweifache Mutter und Schauspielerin, wird von ihrem Lebensgefährten schwanger, einem erfolgreichen TV-Drehbuchautor (!). Schwanger ist auch ihre 16-jährige Tochter. Die eine scheint zu alt dafür, die andere zu jung: Fertig ist der Plot. Julia Ziesche, die auch das Drehbuch schrieb, entwickelt daraus solide Fernsehkost. Es setzt Ohrfeigen und Unfälle, ein Babypuppe quengelt (als didaktische Vorhut jungen Mutterglücks), Beziehungen halten, kippen oder suchen eine zweite Chance. Und weil Doris schwanger ist, wird das auch die von ihr in einer TV-Soap verkörperte Kanzlerin. Weil der Drehbuchfreund es so will. Zwar lässt Ziesche ihren szenischen Reigen mitunter ziemlich heiß laufen und übertreibt das Pingpongspiel (à la Mutter & Tochter zeitgleich beim Frauenarzt). Doch bekommt sie all die Krisen, Umbrüche und Entscheidungen ihres indes äußerst typenhaft bleibenden Familienpersonals erstaunlich gut sortiert.

Heute, 22.15 Uhr: CS 3; Fr, 10.30 Uhr: CS 3; Fr, 17 Uhr: CS 1; Sa, 20 Uhr: CS 5; So, 18 Uhr: CS 2.

Offensichtlich mit kleinem Budget und viel Improvisationslust gedreht ist Florian Peters "Straßenkaiser", der ziemlich viel auf einmal sein will: zum einen eine Berlin-Hommage (die furchtbar sozialromantisch ausfällt), zum anderen ein screwballartig aufgezogenes Skurrilitätenkabinett (das nicht nur wegen der papiernen Off-Kommentare des Erzählers allzu bemüht bleibt) und dazu eine Gangsterfilmparodie. Letzteres gelingt Peters zum Ende hin ziemlich gut. Davor muss man jedoch durch einen abenteuerlichen Klischeewust hindurch. Die Story trägt nicht: Noah (12) verpasst seinen Vater, trifft stattdessen Samuel (ein gutherziger Drogendealer, gerade Vater geworden und von finstren Gestalten verfolgt) und gerät mit ihm in den Karneval der Kulturen. "Straßenkaiser" bleibt beliebig wie ein szenisches Puzzle. Als habe Peters beim Dreh immer neue Ideen adaptiert, aber zu wenige fallenlassen. Ein Film, dem man seine Figuren einfach nicht abnimmt.

Heute, 22 Uhr: CS 1; Fr, 10 Uhr: CS 5; Fr, 21 Uhr: CaZ; Sa, 12.15 Uhr: CS 3; So, 19.45 Uhr: CS 8.

Ungleich besser macht das Arman T. Riahi in seiner bitter-bösen, viel Wiener Schmäh versprühenden Komödie "Die Migrantigen", die man durchaus als zynischen Kommentar zur derzeitigen Migrantendebatte und deren Aufarbeitung in den Medien lesen kann. Wie der gebürtige Iraner Riahi mit Klischees über Ausländer spielt, dabei alle political correctness konsequent unterläuft und seinen phasenweise köstlichen Film gezielt gegen die Wand fahren lässt, ohne dass er Schaden nimmt, das zeugt von viel dramaturgischem Talent. Marko und Benny, ein Künstler-Prekariatsduo, gerät durch Zufall in eine TV-Doku-Serie über ein Wiener Problemviertel, für die Migranten gesucht werden, die gängige Vorurteile bedienen. Ihre große Chance witternd, geben sie sich als Omar und Tito aus und machen die Serie mit ihrer gefakten Gangster- und Sozialschmarotzer-Identität aus zweiter Hand zum Quotenhit. Riahis schwarze Komödie ist nicht ohne Hintersinn und spielt geschickt auf der Klaviatur heutiger Ressentiments. "Wir geben den Leuten das, was sie sehen wollen", meint Marko alias Dito. Das weiß auch die Doku-Regisseurin, für die Erfolg alles ist. Riahi aber schlägt am Ende mit den Mitteln des Kinos das (Privat-)Fernsehen.

Heute, 20 Uhr: CS 3; Fr, 13.30 Uhr: CS 1; Fr, 22 Uhr: CS 3; Sa, 12.45 Uhr: CS 5; So, 20 Uhr: CS 2.

Sehr viel langsamer, sparsamer, elegischer erzählt Monja Art in "Siebzehn" die Geschichte der 17-jährigen Paula (herausragend in ihrer Nuanciertheit: Elisabeth Wabitsch), die sich in ihre Mitschülerin Charlotte verliebt, ihre Gefühle aber nicht zeigen kann. Aus Angst, verhöhnt und ausgegrenzt zu werden. Monja Art lässt ihrer Geschichte Zeit, sich zu entfalten; immer wieder zieht sie weite atmosphärische Schleifen - die niederösterreichische Provinz und die schwelenden Sehnsüchte und Rollenmuster der Mitschüler Paulas gleichermaßend einfangend. Die Regisseurin belässt es bei Andeutungen, wo andere Filme effekthascherisch alles sofort breittreten. Vor allem simplifiziert und verrät sie ihre Figuren nicht. Auch dank einer gekonnten Dialogführung und einer subtilen, aber umso tiefer reichenden Bildsprache. "Siebzehn" ist wohltuend in seinem ruhigen Erzählfluss und seiner bis zum Schluss unbeirrt verfolgenden Grundhaltung, die Dinge nicht einfacher machen zu wollen, als sie es sind. Ein Film, der nicht verpufft und aus diesem Ophüls-Jahrgang herausragt.

Heute, 19 Uhr: CS 4; Fr, 11 Uhr: CS 1; Fr, 17 Uhr: CS 5; Sa, 15 Uhr: CS 2; So, 17.30 Uhr: CS 1.

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