Stadtentwicklung Wie Leuchttürmen ein Licht aufgehen könnte

Saarbrücken · Im Rahmen des  „Colors of Pop“-Festivals untersuchte ein Diskussionsabend den Zusammenhang von Eventkultur und Stadtentwicklung.

 Entwurf des Saarbrücker Architekturstudenten Yannick Aulenbacher für einen „Colors of Pop“-Festivalclub.

Entwurf des Saarbrücker Architekturstudenten Yannick Aulenbacher für einen „Colors of Pop“-Festivalclub.

Foto: HTW Saar

Die Zeit sei reif dafür, „dass wir uns den Stadtraum zurückholen“, meinte eingangs Alexander Schwehm, der gastgebende Präsident der Saar-Architektenkammer. Dem dienstäglichen Diskussionsabend unter dem Titel „Pop-Event und Stadt­entwicklung“, zu dem die Kammer in Kooperation mit dem Pop­Rat und der Schule für Architektur der HTW eingeladen hatte, fehlte dann aber das Umstürzlerische. Auch wenn Schwehms Entrée andere Erwartungen geweckt haben mochte. Was nicht heißt, dass es ein laues Diskussionslüftchen gewesen wäre, das da durch den gut gefüllten Vortragssaal zog.

Die Idee, das komplexe Thema in fünf einleitenden „Impulsreferaten“ erst mal in seine diversen Facetten aufzudröseln und damit zugleich Munition zu liefern für die anschließende Podiumsdiskussion, erwies sich durchaus als ergiebig. SR-Pressemann Peter Meyer, Vorsitzender des Pop-Rates Saarland, etwa brachte drei der insgesamt elf „Leuchttürme“ aus dem Pop-Rat-Konzept von 2015  in die Runde ein: den Bau einer Eventhalle, das Fehlen eines als „Creative Factory“ apostrophierten Musikzentrums in der Landeshauptstadt und als drittes popkulturelles Manko eine „800er-Halle“ – einen Konzertort mittlerer Größe, da die Saarbrücker Garage nur Kontigente für 200 („Kleiner Klub“) bzw. 1200 Besucher abdeckt.

Am Erfrischendsten war die launige Fiktion des als Moderator durch den Abend führenden HTW-Architekturprofessors Stefan Ochs: An das legendäre Saarbrücker Summertime Open-Air-Festival im Ludwigspark anno 1978 erinnernd (mit Frank Zappa, Genesis, John McLaughlin, Joan Baez und vielen anderen), führte Ochs uns vor Augen, was daraus hätte alles werden können – wenn die Chose nicht 1980 schon nach zwei Festivals begraben worden wäre. Ochs’ HTW-Kollege Ulrich Pantle schürfte anschließend noch einmal aus 50 Jahren Protestgeschichte das avantgardistische Potenzial der Pop-Kultur hervor, ehe der Vorsitzende des Saarbrücker Städtebaubeirats, der Landschaftsarchitekt Luca Kist, dem Zusammenhang von Stadtentwicklung und Groß-Events nachging. Am Beispiel Hamburgs machte Kist klar, wie sich selbst aus erfolglosen Mega-Projekten (Hamburgs Olympia-Bewerbung 2012) stadtplanerisch enormes Kapital schlagen lässt. Der per Bürgerentscheid geplatzte Olympia-Traum hat dort so viel Schubkraft entwickelt, dass man es für 2024 erneut versuchen will. Eine Saarbrücker Einladung zur Traumtänzerei wollte Kist damit nicht geben – wohl aber verdeutlichen, dass das „Colors of Pop“-Festival, das zu protegieren sich der Abend explizit auf die Fahnen geschrieben hatte, im Saarland als Initialzündung wirken könnte, vielleicht endlich einmal Großes zu denken. Klopft sich das Land nicht seit Jahren nur mit einem Werbesprüchlein („Großes entsteht im Kleinen“) selbst mächtig auf die Schulter?

In die Niederungen der Realität führte Marcel Sude vom Saarländischen Rockmusikerverband zurück. Verglichen mit Luxemburg und Lothringen sei die hiesige Szene infrastrukturell auf alarmierende Weise unterversorgt. Alleine in Saarbrücken würden 50 Bands auf einen Proberaum warten, merkte Sude an und warb mit guten Argumenten für den Aufbau eines Musikzentrums. Bei Saarbrückens Baudezernent Heiko Lukas fand er dafür ein offenes Ohr. Lukas, der sich zusammen mit dem Sude beherzt unterstützenden Leiter des Saarbrücker Rockbüros, Norbert Küntzer, und der Musikerin Annina Casalino zum Finale des Abends auf dem Podium einfand, brachte gleich das der Stadt gehörende, zehngeschossige Rhenania-Gebäude am Osthafen als denkbaren Ort für ein solches Musikzentrum ins Spiel. Die Stadt suche dafür gerade ohnedies „gute Ideen und Investoren“. So knipste der Abend dann immerhin einem von Pop-Oberrat-Meyer propagierten Leuchttürmen, wenn man so will, das Licht an. Mal sehen, ob und was daraus wird.

Dafür nahmen die versammelten Pop-Räte (darunter auch Moderator Ochs) an anderer Stelle, so hatte man den Eindruck, ein bisschen voreilig Druck aus dem Kessel Eventhalle. „Colors of Pop“-Festivalmacher Thilo Ziegler, der, wiewohl diplomatisch, entschieden für eine Event-Arena warb, die unter ihrem Dach die Bereiche Kultur, Sport und „Family-Entertainement“ vereinen könnte, um der Jahr für Jahr größer werdenden Event-Diaspora Saarland ein Ende zu machen, sprang keiner aus den Poprat-Reihen wirklich zur Seite. Hatte sie, im Wissen um die leeren Kassen, dazu an diesem Abend allzu schnell der Mut verlassen? Jedenfalls verlor man die von Stefan Ochs aufgeworfene Grundsatzfrage gleich wieder aus den Augen, ob es eine Saarbrücker Eventhalle braucht, da Trier, Luxemburg und Amnéville längst damit ködern. Stattdessen irrlichterte die Diskussion ein bisschen ziellos entlang von Hallen-Standortfragen (am Lyonerring?, auf den Saarterrassen?). Oder erging sich in Szenarien für eine Reanimation des Ludwigsparks als Sommer-Open-Air-Location. Woraufhin Heiko Lukas vorsichtig meinte, „man müsste da mal die Schall-Emissionen auf dem benachbarten Rodenhof klären“.

Außer der Schubkraft, die „Colors of Pop“ entfachen könnte in Sachen Vernetzung der hiesigen Szene, wurde an diesem Abend deutlich, dass die lokale Musikszene zwar reich ist, aber arm an Probenräumen und Auftrittsmöglichkeiten in „Hallen der mittleren Kategorie“ (so Pop-Rat Roland Helm). Musikerin Annina Casalino, die zuletzt noch mit ihrer Band den Kehraus besorgte, stieß ins Herz der realen Nöte, als sie einen Hilfeaufruf für das hier Konzerte organisierende  Saarbrücker „Haifischblut-Collectives“ machte. Um weitermachen zu können, brauche das Studentenkollektiv einen Raum für 100 Leute, möglichst mietfrei.

 Festivalmacher Thilo Ziegler warb für eine Eventhalle, damit das Saarland nicht weiter abgehängt wird.

Festivalmacher Thilo Ziegler warb für eine Eventhalle, damit das Saarland nicht weiter abgehängt wird.

Foto: Rich Serra

Überhaupt sollte man das studentische Potenzial für Stadt und Land nicht unterschätzen. Die im Vortragssaal ausgestellten Entwürfe von HTW-Architekturstudenten für einen „Colors of Pop“-Festivalclub und eine Eventhalle – da war er wieder, Zieglers gebetsmühlenhaft angemahnter Leuchtturm – zeigten, so der Saarbrücker Architekt Jens Stahnke, „wie überlebensnotwendig neue, attraktive Angebote für Saarbrücken sind“.

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