„Memento Mori“ Neues Album von Depeche Mode: Das Jenseits ist nie weit weg
Saarbrücken · „Memento Mori“ ist das erste Album von Depeche Mode nach dem Tod von Bandmitglied Andrew Fletcher.
Die zweite Single war so etwas wie eine Warnung. Hatten Depeche doch aus dem neuen Album „Memento Mori“ als erste Musik „Ghosts again“ herausgebracht – zum kollektiven Entzücken. So gut hatte die Band lange nicht mehr Melodie und Melancholie, Pop, Pathos und Persönliches unter einen Hut gebracht. Und dann folgte „My Cosmos is mine“, eine sperrige Nummer mit elektronischem Scheppern und Schaben, einer Melodie, die nirgendwohin zu führen scheint und eingeschobenen Chören. Nach der Pop-Perle „Ghosts again“ erst einmal eine Enttäuschung – aber eine interessante, die beim Weiterhören immer besser klang. Und ein Zeichen, dass man nun beim Album mit Überraschungen rechnen darf.
Erste Musik seit Tod von Andrew Fletcher
„Memento Mori“ ist das erste Album seit dem überraschenden Tod von Bandmitglied Andrew Fletcher im Mai vergangenen Jahres. Fletcher war nicht als Komponist in Erscheinung getreten, er galt eher als gute Seele, die die Band zusammenhielt und zwischen zwei durchaus ausgeprägten Egos vermittelte: zwischen Martin Gore, der über Jahre die gesamte Musik der Band schrieb, und Sänger Dave Gahan, der als Komponist von Gore lange weggebissen wurde, aber dann doch eigene Nummern auf den Alben platzieren konnte. Vielleicht spielte da ein gegenseitiger Neid mit: der des Sängers auf den talentierteren Komponisten und der des Komponisten auf den Sänger (und die begnadete Rampensau), dem bei Konzerten das Publikum sozusagen aus der Hand isst.
Leben im Bewusstsein von Vergänglichkeit und Tod
Albumtitel und die meiste Musik entstanden in der schlimmsten Zeit der Pandemie und vor Fletchers Tod, so sind die 12 Stücke keine direkte Reminiszenz an den Kollegen; aber das Grundthema – Leben im Bewusstsein von Vergänglichkeit und Tod – hat eine gewisse biografische Nähe. Die lässige, trotzdem nicht oberflächliche Pop-Brillanz von „Ghosts again“ besitzt keines der anderen Stücke, und dennoch ist dies eines der stärksten Alben der Band, das beste seit vielen Jahren.
In Richtung Himmelspforte
Co-produziert mit James Ford und Marta Salogni, bietet es einige Momente von bewährter Depeche-Mode-Routine, wenn die Band elektronische Klänge und Blues-Strukturen miteinander verbindet („Caroline’s Monkey“) oder wenn sie ganz auf Elektronik setzt: „People are good“ erinnert mit seinen klinisch klickenden Rhythmen an die Kollegen von Kraftwerk, bevor das Stück sich mit Chören und der Textzeile „Heaven help us!“ in Richtung Himmelspforte aufschwingt – das Jenseits ist nie weit weg auf diesem Album. Ein gewisser Witz aber auch nicht: „Soul With Me“ ist das wohl ungewöhnlichste Stück – eine Ballade von Gore, von ihm mit seinem hohen engelsgleichen Gesang vorgetragen. Nach einem betont synthetischen Himmelschor-Intro singt er lieblich vom Jenseits, von den Weltkatastrophen und seiner Seele, die nun himmelwärts schwebt. Gore bastelt sich hier einen hinreißend ironischen, sehr melodischen Jenseits-Kitsch zusammen – vor dem geistigen Auge sieht man ihn auf einer Wolke sitzen, mit Harfe und Keyboards. Ein Höhepunkt des Albums, wenn auch nicht vielleicht für jeden.
James-Bond-Aroma
Die epische Ballade „Don’t say you love me“ kommt da nicht heran, trotz allen Aufwands und Streicherklängen – aber sollte die Band jemals einen Titelsong für einen James-Bond-Film aufnehmen, könnte er wohl so oder ähnlich klingen. Nachtschwarz, von pulsierenden Rhythmen und verzerrten Gitarren nach vorne getrieben, ist „My favourite strangers“, in gewisser Weise Depeche-Mode-Routine, aber effektiv und auf hohem Niveau.
Himmel oder Hölle?
Das Album schließt mit „Speak to me“, einer anfangs zarten Ballade mit Keyboard-Klängen, die wie eine preisgünstige Heimorgel in einer zugigen Kapelle klingt, bis sich der Klang in ein Gewirr aus elektronischem Pulsieren, nervösen Streicherklängen und tiefem Brummen auflöst. Hier geht es wohl in Richtung Jenseits – bloß: Nach oben oder nach unten, in Hölle oder Himmel? Wer weiß?
Depeche Mode: Memento Mori (Columbia / Sony Music).
Konzerte: 26. Mai Leipzig, 4. und 6. Juni Düsseldorf, 20. Juni München, 29. Juni und 1. Juli Frankfurt, 7. und 9. Juli Berlin.
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