Ausstellung „In the cut“ Wenn Frauen malen, wie Männer sind

Saarbrücken · „In the cut – Der männliche Körper in der feministischen Kunst“ in der Saarbrücker Stadtgalerie liefert Gesprächsstoff. Die SZ-RedakteurInnen Esther Brenner und Oliver Schwambach haben sich die Schau gemeinsam angesehen – und schreiben aus weiblicher und männlicher Sicht.

Ausstellung „In the cut“: Wenn Frauen malen, wie Männer sind
Foto: SZ/Robby Lorenz

„Djamel“ präsentiert sich in der ersten Etage mit drahtigem nacktem Oberkörper – seine dunkle Latino-Männlichkeit quillt aus der offenen weißen Hose. Obszön? Geschmacklos? Viel zu direkt? Aber nein, eher ein amüsanter, vielsagender Hingucker, den Anke Doberauer 1993 lebensgroß und fotorea­listisch auf die Leinwand gebracht hat. Sie nimmt damit das Klischee vom immer potenten Latino-Macho auf die Schippe. Denn das Gesicht des erotischen jungen Mannes bleibt unter einem Hut verborgen – und so auch seine möglicherweise vorhandene Scham. Ein anderes ihrer Gemälde zeigt einen Mann im rüschigen Reifrock-Kleid. So werden Frauen bis heute für Hochzeiten eingepackt und drapiert. Beziehungsweise sie ziehen das freiwillig an. Irritiert? Na klar! Und gerade das ist das Tolle an dieser Ausstellung, die mit Tabus bricht, den weiblichen Blick auf den männlichen Körper aus vielen Perspektiven freigibt und dabei die (Macht-)Verhältnisse lustvoll und selbstbewusst umkehrt. Dabei geht es nicht in erster Linie um Sex, aber eben auch.

Da läuft der „Sex over 50“ als „Love in the ruins“ zwischen der Fotografin Susan Silas und ihrem zwölf Jahre älteren Ehemann sehr authentisch vor dem inneren Auge ab. Ganz ineinander versunken und völlig ohne Photoshop ist das Paar hier auf großformatigen, nüchternen Fotografien zugange. Inklusive Altersflecken, Schamhaaren und Falten. Die Arbeit manifestiert den Protest gegen Jugend- und Schönheitswahn. Hier wird Liebe gemacht gegen die allgegenwärtige Übersexualisierung. Auch im Alter lässt sich Eros blicken.

Die Künstlerinnen, die sich hier lustvoll mit dem männlichen Körper auseinander setzen, stellen Bezüge zu sich selbst her, treten aus der passiven Rolle heraus und bringen so die Machtverhältnisse zwischen den Geschlechtern ins Wanken. Der Mann wird hier zum devoten Objekt der Begierde, das frau aktiv modelliert – so zeigt Aude du Pasquier Grall (Jahrgang 1974) die jungen, nackten sich vor ihrer Kamera räkelnden Männer. Sie gibt die Macht/den Auslöser nicht aus der Hand, stattdessen aber Anweisungen. In Frankreich wurde diese Videoarbeit 2002 noch zensiert!

Auf den köstlichen Fotos von Paula Winkler inszenieren sich Männer phantasievoll selbst. Dann wieder ist der Mann Lustobjekt. Begehrenswert. Mal stark, mal verletzlich wie in Herlinde Koelbls ästhetisch so ansprechender Fotoreihe „Männer“ von 1984, die sie um das Thema „Haare“ ergänzt hat. Der Mann als Liebhaber, der nimmt, aber auch genommen wird. Vor allem die Künstlerinnen älterer Jahrgänge (Eunice Golden, Carolee Schneemann, Betty Tompkins mit ihren „Fuck Paintings aus den 70er Jahren) haben gegen Tabus angemalt, die sexuelle Befreiung der Frau gefeiert im gleichberechtigten Sex-Akt. Die Frau will hier kein „Opfer“ männlicher Dominanz sein.

Wie die Lust ist auch der Schmerz und der Kampf um Macht in den Geschlechterbeziehungen immanent. Louise Bourgeois hat dies immer wieder thematisiert. In der Stadtgalerie sind Arbeiten zu sehen, die in ihrem letzten Lebensjahr gemeinsam mit Tracey Emin entstanden sind. Deren winzige Frauenfiguren arbeiten sich an Bourgeois’ blutrot gemaltem Phallus ab, liebkosen, küssen, umwerben ihn. In diesen verstörenden Zeichnungen entfaltet das männliche Glied sein verletzendes Potenzial. Sex, Macht und Schmerz, Lust und Leid, sind untrennbar miteinander verwoben.

Für die Hochglanz-Instagram- und Youtube-Generation empfehlenswert: Julika Rudelius’ 12-minütige, halbdokumentarische Videoarbeit „The highest point“ (2002): Humorvoll und erotisierend erzählen alte, junge, dicke, dünne Frauen sehr plastisch von ihren Sexpraktiken. Hier nimmt frau ihre sexuelle Befriedigung selbst in die Hand. Ein super Kontrast ist das zu dem entwürdigenden Rumgebalze der Musik-Video-Barbiepuppen mit den fettfreien, silikonverstärkten, immer verfügbaren Super-Körpern.

 Susan Silas hat sich für die Serie „Love in the Ruins – Sex over 50“ mit ihrem Ehemann selbst fotografiert (ab 2003).

Susan Silas hat sich für die Serie „Love in the Ruins – Sex over 50“ mit ihrem Ehemann selbst fotografiert (ab 2003).

Foto: Susan Silas
 „Leo“ auf Leinwand von Anke Doberauer (1995).

„Leo“ auf Leinwand von Anke Doberauer (1995).

Foto: Anke Doberauer
 Nackt, jung, frech: Dieses Bild stammt aus der Arbeit „Le cycle Masculin Nr. 5“ der Französin Aude du Pasquier Grall (2008).

Nackt, jung, frech: Dieses Bild stammt aus der Arbeit „Le cycle Masculin Nr. 5“ der Französin Aude du Pasquier Grall (2008).

Foto: Aude du Pasquier Grall
 „Cronus“ von Eunice Golden  aus dem Jahr 1969.

„Cronus“ von Eunice Golden  aus dem Jahr 1969.

Foto: Eunice Golden
 Die US-Amerikanerin Eunice Golden malte „Purple Sky” 1969.

Die US-Amerikanerin Eunice Golden malte „Purple Sky” 1969.

Foto: Eunice Golden

Diese Schau spielt mit den gängigen Gender-Klischees. Hier darf die Frau auch mal Macho sein. Und der Mann Schwäche zeigen. Wie anregend. Lust hinzugehen?

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