Wenn China auf Goethe trifft

Saarlouis · Im Rahmen der Musikfestspiele gastierte die Peking Opera Company in Saarlouis. Ein höchst ungewöhnliches Opern-Erlebnis.

 Faust (Liu Dake) versucht Gretchen (Zhang Jiachun) zu verführen. Foto: Rolf Ruppenthal

Faust (Liu Dake) versucht Gretchen (Zhang Jiachun) zu verführen. Foto: Rolf Ruppenthal

Foto: Rolf Ruppenthal

Goethes Faust musikalisch umzusetzen - diese Idee ist nicht neu: Charles Gounod ist das mit seiner Oper "Faust" grandios gelungen. Wer allerdings mit dieser Vorstellung im Kopf am Mittwoch oder Donnerstag das Theater am Ring in Saarlouis besuchte, musste sich auf einen Kulturschock gefasst machen.

Die Faust-Adaption, die die National Peking Opera Company bei ihrem Gastspiel im Rahmen der Musikfestspiele präsentierte, ist schlichtweg mit den Maßstäben unserer Opern- und Theater-Tradition nicht zu erfassen. Die europäische Kostüm-Oper mit großem Ensemble und ebenso üppigen Gefühlsausbrüchen steht mit der Peking Oper einer streng ritualisierten Aufführungspraxis gegenüber, die sich vor allem in Gestik und Mimik ausdrückt, kombiniert mit Kampfkunst bei höchst sparsamer Kulisse. Und auch der Gesang ist mit den melodiös geprägten Arien der europäischen Oper kaum zu vergleichen: Statt die Rolle entsprechend der natürlichen Stimme der Sänger zu besetzen, folgen die Darsteller stimmlich streng der Rollenvorgabe - und liegen dabei mit einem teils künstlich gequetschtem Timbre fernab des hier vorherrschenden Stimm-Ideals. Auch der Glissando-Gesang in den Rezitativen ist erst einmal gewöhnungsbedürftig.

Weg mit der Schere im Kopf, muss also das Motto für Zuschauer heißen, wollen sie diesem ebenso farbenfrohen, wie auch musikalisch und dramatisch hochinteressanten Stück gerecht werden. Ist es doch gerade das Fremde, Skurrile, das hier den Unterschied macht. All diese kleinen Details, die die Handlung ausmachen. Wie beispielsweise die farbenfrohen Kostüme, die nicht einfach dem Geschmack, sondern Vorgaben folgen, wenn beispielsweise die Kombination aus blau und rot auf Kerkerkleidung verweist. Auch die wenigen Requisiten, die zur ganzen Welt werden, wenn Mephisto im Studierzimmer auf einen Stuhl steigt, um auf diese Weise in die Ferne zu blicken. Oder wenn die Anordnung von Tisch und Stühlen darüber entscheiden, ob wir uns im öffentlichen oder privaten Raum befinden. Arm- und Handhaltung, das Spiel mit den wallenden "Wasserärmeln", die Rituale, die das Öffnen von Fenster und Türen andeuten, all diese Gesten machen das Stück aus.

Dass die Zuschauer dem zumindest folgen können, verdanken sie Pierrette Müller, Kniegeigerin beim Peking-Oper-Club in Frankfurt, die interessierten Besuchern schon vor der eigentlichen Vorstellung die Eigenheiten dieser Kunstform erklärt hat.

Dank dieser Einführung wissen die Zuschauer auch, dass die Company mit dem Faust künstlerisches Neuland betreten hat. Denn traditionell bewegen sich die Stücke der Peking Oper in einem engen Rahmen mit streng festgelegten Rollen, auf die die Darsteller lebenslang festgelegt sind. Für den Faust, den die deutsche Regisseurin Anna Peschke inszeniert hat, mussten sie entsprechend neue Rollentypen erarbeiten.

Künstlerisch bewegte sich die Aufführung durchgehend auf höchstem Niveau. Xu Mengke gab einen wahrhaft teuflischen Mephisto, Liu Dake zeigte sich sehr wandlungsfähig vom greisenhaften Wissenschaftler Faust zum Jüngling, dann zum schuldbeladenen Verführer. Großartig auch Zhang Jiachun, die nicht nur mit winzigen Tippelschritten über die Bühne schwebte, sondern auch im gestischen Ausdruck Höchstleistungen brachte. Und Zhao Huihui bereicherte das Stück als ihr Bruder Valentin gemeinsam mit Liu mit einer akrobatischen Kampfszene.

Peschke ist es gelungen, Goethes Faust stimmig in die chinesische Formalistik zu übersetzen. Dass sie sich dabei nur auf Teile des Werks konzentriert hat, ist auch der für Peking-Opern ungewöhnlich kurzen Aufführungspraxis von 90 Minuten geschuldet. Und auch der moralische Epilog Gretchens kurz vor ihrem Tod mag der Adaption geschuldet sein - so viel künstlerische Freiheit muss möglich sein. Dem Genuss tat das keinen Abbruch.

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