Wenig Verstörendes, viel Ernsthaftigkeit, einige Glanzlichter

Es sind nicht unbedingt ihre eigenen Inszenierungen, die einem spontan einfallen, wenn man die Intendantinnen-Ära Dagmar Schlingmanns überblickt. Sicher, ihr "Godot" war eine konzentrierte, wohl austarierte Beckett-Feier. Ihr "Faust" überzeugte als durchdachtes Welttheater-Kondensat. Mehr noch taten es ihre "Ratten", die Hauptmanns Stück zum existenziellen Melodram verdichteten. Desgleichen bleibt Schlingmanns entmuffte Hebbel-Deutung ("Maria Magdalena") dank ihres sicheren Gespürs für gebrochene Charaktere in Erinnerung.

Und doch: Im Schauspiel setzten am Ende in diesen elf SST-Jahren unter ihrer Ägide andere Regisseure die größten Glanzlichter. Wie etwa Marcus Lobbes aus Elfriede Jelineks Flüchtlingssuada "Die Schutzbefohlenen" eine zynische Farce komponierte, das löste Schlingmanns Anspruch, das Saarbrücker Theater auch mal auf politische Zeitgenossenschaft zu bürsten, glänzend ein. Dazu schieben sich zwei Inszenierungen von Christoph Diem bei der persönlichen Juwelensuche nach vorne: zum einen Diems furiose Version von Borcherts Nachkriegsklassiker "Draußen vor der Tür" (den er, mit einem berserkerhaften Andreas Anke in der Titelrolle, zu einer großen Verzweiflungsstudie auflud), zum anderen Diems exzellente Erkundung des unerreichbar wirkenden Planeten Liebe in Kleists "Käthchen von Heilbronn". Als Bojen im Spielplanmeer überdauerten auch Erich Sidlers geschliffene Saarbrücker Bühnenversion von Rebekka Kricheldorfs "Villa Dolorosa" (nach Tschechovs "Drei Schwestern") oder aus jüngerer Zeit Christopher Hannigers Joël-Pommerat-Stück "Die Wiedervereinigung der beiden Koreas", diese gnadenlos bittere Liebeskomödie.

Und sonst, was bleibt, wenn man nun Bilanz zieht? Dass die Ära Schlingmann nicht sehr politisch im Sinne des Lieferns von Analogien, von Jetzt-Zeit-Analysen war. Weder ihre Spielpläne noch ihre Intendantenrolle, die nicht auf Einmischung angelegt war. Wohl aber brachte diese Schlingmann-Dekade uns viel Qualität, Ernsthaftigkeit, Anregung. Letzteres maßgeblich dank der Sparte 4, die als Experimentierbühne und kreative Umlaufbahn für einigen Durchzug gesorgt und somit Schwellenabbau und Theaterverjüngung betrieben hat.

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