Saarländische Kulturzeitschrift Was man sich alles an die Lesebrust heften kann

Saarbrücken · Die neuen „Saarbrücker Hefte“ wählen sich Migration und Stadtentwicklung zum Schwerpunktthema – dennoch bleiben Wünsche offen.

Sind die „Saarbrücker Hefte“ in einer Krise? Ein Jahr hat die Herausgabe der neuen Doppelnummer wieder gedauert – früher schaffte man zwei Hefte pro Jahr. Auch gelingt es der Kulturzeitschrift seltener, zeitnah virulente kulturelle oder politische Themen der Großregion aufzugreifen und zu durchleuchten. Die Kritik des Ex-Hefte-Redakteurs und SR-Journalisten Uwe Loebens, die diesen vor Jahren zum Redaktionsaustritt veranlasste, gilt bis heute: Die „Hefte“ tun sich schwer damit, saarländische Schwerpunktthemen zu setzen, die halbwegs aktuelle, gesellschaftliche oder kulturelle Zustandsbilder liefern. Eine Bilanz der Arbeit der GroKo im Saarland, die sich bis dato durch das Ankündigen von Leitlinien respektive künftiger Investitionen ausgezeichnet hat, vermisst man. Genauso wie eine Auseinandersetzung mit der Ära Schlingmann am Staatstheater oder ein Resummee des Politikums Vierter Pavillon.

All das heißt aber nun nicht, dass die neue Ausgabe nicht genug Anregendes und Streitbares zu bieten hätte. Zwei Schwerpunktthemen prägen Nr 115/116: Migration und die Saarbrücker Verkehrspolitik. Ein lesenswerter Text unter dem Titel „Ich heirate den Islam“, im Original im Dezember 2016 bereits auf „Zeit online“ erschienen, schildert zum Auftakt die Bewegründe eines jungen Saarbrückers, aus Liebe zu einer Tunesierin, die in Frankreich als junge Wissenschaftlerin arbeitete, zum Islam zu konvertieren. Weil der Autor nur pro forma die religiösen Seiten wechselt, um der islamischen Tradition Folge zu leisten, die für Muslima Ehen mit Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften quasi unmöglich macht, schreibt er unter Pseudonym: Er sorgt sich vor allem, dass die Schwiegereltern erfahren könnten, dass er aus rein pragmatischen Gründen konvertierte. Dass der „Zeit“-Text nur nachgedruckt und für die „Hefte“ nicht aktualisiert wurde, schmälert ihn.

Eine andere Facette des Migrationsthemas reißt die in Neunkirchen lebende bosnische Journalistin Sadija Kavgic in einem etwas torsohaft wirkenden, polemischen Text an, der die bürokratischen Hürden bei der Anerkennung von Abschlüssen in ihrem Zufluchtsland schildert.

Den bis 2030 reichenden Verkehrs­entwicklungsplan (VEP) der Landeshauptstadt nimmt ein langes Interview mit dem Vorsitzenden des Vereins für Handel und Gewerbe, Michael Genth, unter die Lupe. Genth legt darin den Finger in manche Wunde: das völlig unzureichende ÖPNV-System in Saarbrücken, das ungelöste Problem mit den 70 000 täglichen Einpendlern, die fehlende Kopplung von Verkehrs- und Stadtentwicklung. Doch verzichten die Hefte unverständlicherweise auf eine eigene Kommentierung. Dafür seziert ein Beitrag von Silvia Buss die völlig halbherzige Radpolitik der Stadt in ihrem VEP, der für Radler alles andere als einen Quantensprung verheiße. Den aber hätte Saarbrücken, das bundesweit hoffnungslos zurückhängt, bitter nötig.

Literarisch bieten die neuen „Hefte“ Einiges: Jörg Gronius, mittlerweile in die Hefte-Redaktion eingestiegen, bündelt in „Korea revisited 2016“ auf vier Seiten gut beobachtete Impressionen aus Südkorea, die er dort mit dem DRP-Sinfonieorchester gewann. Außerdem liefern die Hefte eine formidable kleine Arno-Schmidt-Hommage mit der abgedruckten Schmidt-Erzählung „Schlüsseltausch“, der sich ein an dessen Zeit an der Saar (1954 in Kastel bei Saarburg) erinnernder Text von Bernd Rauschenbach beigesellt, Vorstand der Arno-Schmidt-Stiftung.

Abgerundet wird die Ausgabe von einer dezidierten Würdigung des Wirkens von Max Braun, führender Kopf im hiesigen Widerstand gegen Hitler; einem essayistischen Beitrag über den 1943 in Majdanek ermordeten Bildhauer Otto Freundlich und dessen „Straße des Friedens“ nebst einer kundigen Historie der Papierentwicklung und Druckgrafik von Robert Karge sowie Herbert Wenders Bilanz einer Studie des Saarbrücker Linguisten Uwe Grund zur Rechtschreibreform, die ihr Ziel einer Vereinfachung des Schreibens verfehlte. Hinzu kommen ein etwas verquaster Text über den Zusammenhang von heutiger Industriekultur und Designtheorie und eine medienkritische Bilanz der SR-Doku „Heute noch müssen wir fort“ über hiesige Evakuierungen im Zweiten Weltkrieg.

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