Perspectives Warum wir uns selbst untreu sind

Saarlouis · Die Perspectives bringen Falk Richters Stück „Verräter. Die letzten Tage“ als Gastspiel ins ausverkaufte Saarlouiser Theater am Ring.

 Szene mit Daniel Lommatzsch in der Rolle des neofaschistischen Ideologen Jack Donovan, umgeben von ergebenen, maskierten Kämpfern (und Trump nebst Frau im Hintergrund).

Szene mit Daniel Lommatzsch in der Rolle des neofaschistischen Ideologen Jack Donovan, umgeben von ergebenen, maskierten Kämpfern (und Trump nebst Frau im Hintergrund).

Foto: Festival/Ute Langkafel MAIFOTO

Es sind eigentlich zwei Stücke, die Falk Richter in seinem – am Sonntag eine Woche nach der Berliner Premiere am Gorki-Theater in Saarlouis als Gastspiel gezeigten – Projekt „Verräter. Die letzten Tage“ miteinander kombiniert. Mehr schlecht als recht, sodass die Unausgreiftheit des Ganzen, je weniger die Zusammenführung beider gelingt, zusehends an dem Abend zerrt. Das erste Stück lebt (reich an unter die Haut gehenden Momenten) von der Idee, die sechs Schauspieler auf der Bühne je eine Schlüsselszene aus ihrem Privatleben erzählen zu lassen.

Das zweite will unsere aktuelle Weltlage auf die Bühne bringen und verrührt dazu die Wut, Angst und Ohnmacht vor und gegenüber Trump, Putin, Le Pen und wie die Demokratieaushöhler alle heißen, zuletzt apokalyptisch zusammen. In einer Art Epilog verabreicht uns Richter nach einem imaginierten großen (rechtsextremistischen) Knall dann nochmal eine Dosis Hoffnung: Uns bleibt außer Achtsamkeit (und Widerstand, der bei Richter als Alternative zu kurz kommt) nur, die destruktive Welterzählung heutiger Politik hedonistisch zu überschreiben. Indem wir Sex haben, tanzen, genießen. Sie ist erschreckend dünn, die Substanz dieses zweiten, heillos polemischen Stücks im Stücks. Genauso wenig überzeugt die Klammer, die sich Richter ausgedacht hat: Die Sechs auf der Bühne kommen bei einem Autoren-Workshop zusammen, um gemeinsam ein Stück (bzw. Musical) zu entwickeln. Kein sonderlich origineller, dramaturgischer Schachzug. Dafür liefert dieses Setting die Möglichkeit zu einem phasenweise hintersinnigen Spiel im Spiel, in dem die Grenzen zwischen Realität und Fiktion und zwischen Rollen und Ideen in assoziativen Verkettungen auflösen.

„Mein Ich braucht mal Ruhe“, sagt die Schauspielerin Cigdem Teke etwa und fordert als Lesbe für sich eine Bettszene mit einem Mann ein, während die furiose Mareike Beykirch dann wieder den weltpolitischen Schirm aufspannt und „wir wissen gerade nicht, wo es hingeht“ ausruft. Ehe Daniel Lommatsch – der einzige im Sextett, der ohne Rückkopplung ins eigene biografische Ich von Rolle zu Rolle springt – einen einflussreichen Gewährsmann der Neuen Rechten gibt: den US-Amerikaner Jack Donovan, der in „Der Weg des Mannes“ Europas Neofaschisten ein männerbündisches, pseudowehrhaftes, frauenfeindliches Weltbild lieferte. Katrin Hoffmanns eine endzeitliche Haldenlandschaft zeigende Bühne bevölkert sich zu Lommatschs Monolog mit Maskierten einer kampfbereiten Wehrsportgruppe, die Holz hacken und Purzelbäume schlagen: ein so absurdes wie bedrohliches Bild. Fehlte nur, dass die manierliche, uns  bei Laune haltende Live-Band (aus den Reihen der Schauspieler) dazu ein Death-Metal-Stück herunterschrubbte.

Prägnant ist der Abend, wenn Richter statt politisch den Holzhammer zu schwingen Raum für Zwischentöne lässt – wie in den berührenden Monologen zu Anfang. Sinnfällig erschließt sich in ihnen Richters titelgebende Grundidee, das (Landes-)Verrätermotiv à la Pegida mit einer Denkfigur des derzeit in aller Munde befindlichen französischen Soziologen Didier Eribon zu koppeln. In seinem Buch „Rückkehr nach Reims“ zeichnet Eribon nach, weshalb er seine proletarische Herkunft  verleugnete, um sich ins Bürgertum retten und seine Homosexualität ausleben zu können. Eribon dient Richter doppelt als Gewährsmann: um am Beispiel Homophobie Ausgrenzungsmechanismen zu thematisieren und um zu hinterfragen, inwieweit wir alle heute Verrat üben an unseren Idealen oder Wurzeln.

So wie Mareike Beykirch es in der (nicht nur hier von Aliocha van der Avoort kongenial videountermalten) Eingangsszene offenbart, in der sie ihr tristes Aufwachsen in tiefster DDR-Provinz schildert, die nach 1991 in eine Hartz-IV-Hölle mündet, der sie sich bis zur Selbstverleugnung entfremdete. Oder so wie ihr Kollege, der Deutschtürke Mehmet Atesçi, der die Putschnacht im Juli 2016 in Istanbul vergegenwärtigt. Eigentlich hatte er seinem schwulen Freund nur seine Heimat zeigen wollen. Als der in jener Nacht vor aller Augen angstvoll nach seiner Hand griff, schlug er sie aus, um sich nicht zu outen. Würde Richter Geständnissen wie diesen mehr vertrauen, hätte er auf seinen politischen Überbau leicht verzichten können.

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