Musikfestivals Brixen Classics – oder die hohe Kunst der richtigen Lücke

Brixen · Frisch wie junger Wein sind die Brixen Classics: Doch schon im zweiten Jahr hat sich das Klassik-Festival offenbar etabliert – mit durch die Bank ausverkauften Konzerten. Wie haben das die Südtiroler bloß geschafft?

 Schon die Kulisse ist eine Wucht: Der grüne Schimmer im Inneren der Hofburg zu Brixen ist natürlich kein Zufall. Auf der Bühne singt und spielt man gerade den "Freischütz"  -  Webers "Wald-Oper", in diesem Jahr einer der Höhepunkte des Festivals Brixen Classics.

Schon die Kulisse ist eine Wucht: Der grüne Schimmer im Inneren der Hofburg zu Brixen ist natürlich kein Zufall. Auf der Bühne singt und spielt man gerade den "Freischütz" - Webers "Wald-Oper", in diesem Jahr einer der Höhepunkte des Festivals Brixen Classics.

Foto: Brixen Tourismus/Marko Paunović/Marko Paunovic

Aller Anfang fällt schwer, heißt es. Was ja stimmt – und auch wieder nicht. Erst beim Weitermachen, wenn aus der Premieren-Euphorie bloß noch süße Erinnerung geworden ist, zeigt sich nämlich, was Bestand haben kann. Bei den Brixen Classics hat man just die Festivalausgabe Nummer zwei hinter sich. Und? Läuft!

„2000 Besucher“ bilanziert Werner Zanotti nach den Prickelbrause-trunkenen Schluss-Takten der Musikwoche in Südtirol selig. Also: „Stoßt an, stoßt an!“. Doch selig? Darf man einem sonst sicher kühl kalkulierenden Tourismuschef so eine Vokabel andichten? Doch wo sonst träfe sie besser als im Innenhof des Klosters Neustift. Gewaltige Historie eingebettet ins Grün der uralten Weinberge. 880 Jahre Geistlichkeit immer auch im Dienst des Weines – da darf man schon mal selig sein.

Ins Schnödere übersetzt bedeutet dies: Alle Termine, von der Kammermusik pur in der einzigartigen Rokoko-Bibliothek des Klosters Neustift übers Opern-Open-Air in Arkaden-türmender Hofburg-Kulisse bis zu musikalischen Weinbergswanderungen und einem Clubabend, Marke Klassik trifft DJ, haben richtig gezogen. Ausverkauft ist da der Standard.

 Kammerkonzert in der Rokokobibliothek des Klosters Neustift.

Kammerkonzert in der Rokokobibliothek des Klosters Neustift.

Foto: Brixen Tourismus/Marko Paunović/Marko Paunovic

Streng genommen muss man das sogar als Erfolg hoch zwei verbuchen. Nicht nur, dass man schon mit der zweiten Festival-Edition auf bemerkenswerter Flughöhe steuerte; schließlich startete man zudem im verflixten Corona-Jahr 2021. Generell schüttelte die Pandemie das Geschäft mit der Klassik heftig durch. Etliche Festivals wurden dahingerafft. Und aktuell halten die Besucher die Hände auf den Geldbörsen: Ukraine-Krieg und Inflation lassen den Cent zwei Mal umdrehen; da können Konzertkarten (zu) teuer werden.

Sicher, das Haupt-Klientel der Brixen Classics findet sich nicht gerade im Prekariat. Nicht umsonst zählt Bentley zu den Sponsoren der frühen Festspielwoche, die die Macher von BrixenCultur bewusst Mitte Juni platziert haben – mit Respekt-Abstand zu anderen Sommerfestivals. Derzeit herrscht nämlich auch auf der sonnenverwöhnten Alpensüdseite noch keine Hauptsaison. Und eine klassische Fanfare zur Beflügelung der Vorsaison kommt da gerade recht.

Exakt da setzt das Festival mit „Musica e vino“ an. Klingt fast wie ein Eros-Ramazzotti-Titel, bringt es aber auf den Punkt. Den Schätzen, die man ohnehin im Eisacktal hat, hervorragende Weine von Vernatsch über Lagrein bis zum süffigen Gewürztraminer eben, sowie Schlösser, Kirchen und Klöster als Spielorte, bereichert man noch um die Juwelen hochklassiger Klassik. Es soll eben Genuss-Festspiele sein – ohne Hang zum Experiment. Den Fehler etlicher andere Festivals, sich programmatisch zu übernehmen, macht man in Brixen schon mal nicht. Aber man investierte – in diesem Fall – genau richtig ins Defilee zugkräftiger Namen wie Bryn Terfel, Camilla Nylund und den Geigenhumanisten Daniel Hope. Fürs Spumante-Prickeln sorgten aber gerade junge Könner.

Exemplarisch dafür steht das Festivalorchester, dass der musikalische Chef vom Ganzen, Daniel Geiss, zusammentrommelte. Mithilfe von Stimmführern aus Top-Orchestern hat der Dirigent in kurzer Zeit Beachtliches kreiert. Spielfreude ist jungen Orchestern oft eigen, solche Souveränität aber in der Klanggestaltung wie sie das Festivalorchester etwa bei der „Freischütz“-Ouvertüre in der Brixener Hofburg bewies, das ist schon famos. Schön, dass die jungen Musikerinnen und Musiker von Brixen aus gleich noch zu einem Konzert in die Dresdner Frauenkirche mit Daniel Hope weiterreisten.

Apropos „Freischütz“: Beckmesser werden nörgeln, wahre Opernfreunde werden sich doch mit dem weitgehend konzertanten und merklich filetierten (vulgo verkürzten) Weber-Opus kaum über den Brenner locken lassen. Selbst wenn ein Bayreuth-gestählter Bariton wie Michael Volle singt und Heldentenor Christopher Ventris. Dramaturgisch geht‘s tatsächlich hopplahopp durch den Opern-Wald; mit einer recht schlichten Moral am Ende.

Auf der Haben-Seite allerdings stehen die magisch illuminierte Hofburg, einst Sitz der Brixener Fürstbischöfe – und vor allem musikalische Exzellenz. Michael Volles Gestaltungs- und Sprachkunst sucht aktuell tatsächlich ihresgleichen. Einer, der den Kaspar selbst in einer heiteren Sommernacht noch so funkelnd-schwarz, so verschlagen zu singen vermag, definiert eine Klasse für sich, selbst wenn er die Tiefen bisweilen leicht nimmt. Dass Sopranistin Gabriela Scherer (seine Lebenspartnerin) als Agathe umgekehrt just in der tieferen Lage glänzt, ergänzt sich gewissermaßen partnerschaftlich.

Zudem bindet die Opernproduktion über den Festivalchor mit Sängern aus ganz Südtirol auch die Region mit ein. Bei allem Reichtum als Kulturlandschaft, hockt man musikalisch gesehen an der Eisack doch eher im Seitental. So bietet das Festival für die Einheimischen auch einen neuen Ankerpunkt für Klassik und speziell die Oper.

Darum möchte der künstlerische Leiter des Festivals, Tim Decker, hier sogar noch nachlegen; eine Oper mal in Gänze und möglichst mehrfach spielen, das wär schon was, sagt er. Ob das allerdings schon bei der nächsten Ausgabe, vom 10 bis 17. Juni 2023, so sein wird, ist eher fraglich.

Vielleicht wäre ja doch die Beschränkung auf eine Operngala die konsequentere Wahl. Schon weil der Aufwand nicht so groß und die Zugkraft kaum kleiner wäre. Dass ein Best of, man mag es auch „My favourite songs“ nennen, etwas ganz Wunderbares sein kann, bewies schließlich der letzte Festivalabend in diesem Jahr. Zum Finale hatten Michael Volle, Gabriela Scherer und Magnus Dietrich ihre Lieblingsarien zu einem Sommernachts-Open-Air im Kloster Neustift arrangiert – von Wagner bis Lincke, von Bizet bis Korngold, von großer Oper bis zu flirrender Operette. Von Pianistin Julia Okruashvili vollgriffig am Bösendorfer begleitet war der gesamte Abend wie ein Fest mit Freunden; bloß dass die Freunde in diesem Fall über Goldkehlen verfügen. Gerade auch der junge Sänger Magnus Dietrich (bei den ersten Brixen Classics mit dem Young Artist Förderpreis ausgezeichnet) glänzte da mit seinem eleganten, auch noblen Tenor. Von ihm wie den Brixen Classics wird man garantiert noch so einiges hören.

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