Von einer Störenfriedin im Sexgeschäft

Saarbrücken · Schriftstellerin Nora Bossong erkundet in ihrem dokumentarischen Buch „Rotlicht“ das horizontale Gewerbe.

Was zeichnet einen "guten Mann" aus? Dazu hat wohl jede Frau ihre eigene Ansicht. Für jene, die als Prostituierte arbeiten, ist ein Mann schon "gut", wenn er nicht schlägt. Das musste die Schriftstellerin Nora Bossong erkennen, als sie sich im Zimmer eines Berliner Stundenhotels mit zwei Frauen vom Straßenstrich unterhielt. Für die Sexarbeiterinnen ist ein guter Arbeitsplatz schon einer, bei dem man nicht den ganzen Tag auch bei Minusgraden auf und ab laufen muss. Und ein schlechter Kunde ist jener Freier, der sich gezielt drogenabhängige Huren aussucht - und im Auto wartet, bis die Frau so "hibbelig" geworden ist, dass sie auch für 20 Euro einsteigt.

"Rotlicht": Unter diesem Titel hat Bossong ein lesenswertes Buch über ihre Expeditionen in die Welt der käuflichen Lust veröffentlicht. Die Sexmesse Venus ist ebenso dabei wie ein Kontakt-Kino, ein Swingerclub oder ein Wohnungsbordell. Ausflüge von Literaten ins Milieu haben Tradition, von Hubert Fichtes legendären St.-Pauli-Interviews aus den 70ern bis zu Clemens Meyers Hurenroman "Im Stein". Nora Bossongs Buch ist dennoch eine Überraschung. Zum einen, weil sozial- und genderkritische Rotlicht-Reportagen von der 35-Jährigen nicht zu erwarten waren; zuletzt erschienen von ihr ein Familien- und ein Liebesroman. Zum anderen, weil für Frauen im Erotikgewerbe nur eine Rolle vorgesehen ist: die der Dienstleisterin. Was für viele Männer selbstverständlich ist, ist für eine gutbürgerliche Frau quasi tabu: etwa durch ein "Laufhaus" wie das Hamburger Pink Palace zu spazieren, wo die Huren Zimmer an Zimmer auf Kundschaft warten.

Die Über-Sexualisierung irritiert die Beobachterin zunehmend. So ertappt sie sich in einer Tabledancebar dabei, wie sie selbst eine Tänzerin "wie ein Stück Fleisch in einem Feinkostgeschäft" betrachtet. Ihre männlichen Begleiter erscheinen ihr auf einmal verdächtig, weil sie ihr im falschen Augenblick zuzwinkern oder plötzlich selbst Recherche-Eifer entwickeln. Ihre liberale Haltung erscheint der Autorin zunehmend naiv. Die Vorstellung von der selbstbestimmten Sexarbeiterin erweist sich eben doch als Ausnahme von der Regel.

Fragt sich, wie sich die Verhältnisse ändern lassen. Bossong plädiert für eine Öffnung der Sexbranche für weibliches Publikum. Ob ein solcher Rollentausch nicht nur die Ungleichheiten umdreht und wiederholt? So wie in Ulrich Seidls Film "Paradies: Liebe", in dem wohlhabende Europäerinnen sich in Kenia farbige Liebhaber kaufen.

Nora Bossong: Rotlicht. Hanser Verlag, 240 Seiten, 20 €.

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