Von der Vieldeutigkeit des Korans

Saarbrücken · Gut besucht war der Stadtsalon am Samstag nicht, anders als vorangegangene in der Sparte 4-Reihe „Was werden wir werden?“. In dem Falle war die Frage auf das Theater selbst gemünzt: Wie politisch soll es sein in diesen aufgewühlten Zeiten? Klare Antworten gab es nicht.

 Von erhebenden mystischen Momenten im gemeinsamen Gebet mit seinem kleinen Sohn erzählte Milad Karimi. Foto: P. Adhikary/dpa

Von erhebenden mystischen Momenten im gemeinsamen Gebet mit seinem kleinen Sohn erzählte Milad Karimi. Foto: P. Adhikary/dpa

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"Also ich bin ziemlich verwirrt von dem, was ich gehört habe", meldete sich ein Zuhörer nach der ersten halben Stunde zu Wort. "Sie proklamieren hier einen Gott, der kein Subjekt ist, der nicht greifbar ist. Dabei hören wir permanent die Rufe ,Allahu Akbar' und ‚In Gottes Namen‘ und ‚Gott gibt uns als Märtyrer alle möglichen Versprechen'". Auch erlebe "die deutsche Gesellschaft" den Koran als ein Buch mit vielen Ge- und Verboten, an denen sich Islamisten ausrichteten und mit dem sie alles Mögliche bis hin zur Gewaltanwendung rechtfertigten - während, er, Milad Karimi, hier den Koran als offenes, poetisches, friedfertiges Werk schildert. Dass Milad Karimi, Religionsphilosoph und Islamwissenschaftler aus Münster, auf diese Wortmeldung pikiert reagierte und den Zuhörer aufforderte, er solle doch bitte für sich sprechen und nicht für die ganze Gesellschaft, mag man ihm als Schwäche auslegen. Man ahnt, dass er es müde ist, für eine Auffassung von Islam in Haftung genommen zu werden, die nicht die seine ist. Womöglich lag es an der Überschrift, die man der ersten Veranstaltung der Reihe "Was werden wir werden?" gegeben hatte, dass ein Gefühl von Missverständnis über dem gesamten Abend lag. Das "Gottes- und Menschenbild des Islam" - nicht davon war Karimi gekommen zu reden, vielmehr ging es um islamische Mystik. Und was Karimi, der seinen Kant und Heidegger gelesen und über Hegel promoviert hat, darüber sagte, klang für Nicht-Muslime vertraut, fast zu vertraut: Den Koran (den er auch neu übersetzt hat) als poetisches, offenes Werk zu betrachten, ein Werk wie das von Rilke, eines das man historisch-kritisch auslegen müsse, in einem nie abzuschließenden Prozess, also hermeneutisch. " Liebe ist der Movens (Antrieb) aller Erkenntnis", sagte Karimi. So weit, so unstrittig. Mit SR-Journalist Christian Otterbach, einem studierten katholischen Theologen, hatte Karimi bei dieser Diskussionsrunde in der Sparte 4 zwar einen fachkundigen Fragesteller und Partner für religionsphilsophische Vergleiche auf einer Wellenlänge. Doch spürte man, dass den meisten Zuhörern der Schuh ganz woanders drückte. Speziell auch den zahlreich anwesenden syrischen Flüchtlingen (für die Jamal Belkahlka die höchst anstrengende Arbeit des Dolmetschens leistete). "Man hat uns immer erzählt, lass das, tu das nicht, sonst wird Gott Dir die Hand abhacken, also haben wir gelernt, Gott ist ein großer Diktator", sagte etwa ein junger Syrer. "Wir nennen das schwarze Pädagogik", entgegegnete Karimi. Und dass "wir" aufhören müssten mit dieser angstorientierten Religion. Sein Wort in der Menschen Ohr. Doch zu den umstrittenen Stellen im Koran - die Stellung der Frau, die Körperstrafen beispielsweise - äußerste sich Karimi bewusst nicht.

Am Zentrum für islamische Studien in Münster bildet Karimi 700 Studierende in islamischer Theologie aus. Das seien die Religionslehrer von morgen, sagt er. Als Wissenschaftler denkt er langfristig und wirkt optimistisch. Der Abend zeigte aber, es gibt noch viel Redebedarf zwischen Nicht-Muslimen und Muslimen.

Die Stadtsalon-Reihe läuft bis 30. Oktober und wird fortgesetzt am Mittwoch, 20 Uhr, mit dem (ähnlichen) Thema "Mystik. Religionenverbindene Sinnsuche" (Eintritt frei).

An den Fragen lag es nicht, dass der Stadtsalon unterm Strich nicht viel her gab. Christoph Diems letzte Frage nach zwei Stunden zum Beispiel wandte sich direkt an eine Handvoll zur Linken und Rechten seiner eingeladenen Gesprächspartner sitzenden Flüchtlinge, der in Berlin lebenden tunesischen Theaterregisseurin Meriam Bouassselmi und des seit zwei Jahren im Saarland lebenden syrischen Theatermachers Mwoloud Daoud: "Könnte, was wir im Theater tun, relevant sein für euch?" Einer antwortete, er sei erst einmal in Damaskus im Theater gewesen. Ein anderer, Theater müsse frei sein, das sei das Wichtigste.

Ein andermal wollte Sparte 4-Leiter Diem, der seine Spielzeit als Akt der Selbstvergewisserung mit einer mehrwöchigen Diskussionsreihe beginnt, um ob der Veränderungen Deutschlands durch die Flüchtlingskrise nicht business as usual zu demonstrieren, von Bousselemi und Daoud wissen, "ob wir im Theater die Zeit unseres Publikums verschwenden oder sie nutzen?". Interessante Frage. Ehe es Antworten gab, meldete sich der Saarbrücker Journalist Uwe Loebens zu Wort und warf Diem und dem Saarbrücker Theater Gefälligkeit vor. Es fehle an Radikalität. Womit Loebens nicht unrecht hat. Mehr Mut täte dem SST (und der Sparte 4) gut. Tatsächlich kann man sich nicht erinnern, wann man dort zuletzt provoziert wurde. Und das soziale Jetzt - ob die AfD-Ideologie, das Leben wollen (oder müssen) mit fremden Kulturen, die neue Unübersichtlichkeit im Weltmaßstab oder das eklatante soziale Gefälle - gezielt Bühnenstoff geworden wäre. Loebens Einwurf ging unter. Insoweit blieb das Motto des Abends - "Kunst (machen) mit oder ohne Abstand? - bezogen auf Saarbrücken unbeantwortet.

Ausdauernder (und verständlicherweise mit Blick auf die geladenen Gäste) kam zur Sprache, womit in der islamischen Kultur sozialisierte Theaterleute zu kämpfen haben. Daoud erinnerte an die in Syrien fehlende Theatertradition. Erst in den 60ern habe sich im arabischen Sprachraum - nach bescheidenen Anfängen im frühen 19. Jahrhunder - eine Art Bühnenleben ausprägen können. Auch seither habe Theater immer unter besonderer Kontrolle der Diktaturen gestanden. "Der direkte Kontakt mit dem Publikum war nicht nach ihrem Geschmack." Daoud insistierte, dass Theater in seiner Heimat aus guten Gründen eine erzieherische Aufgabe erfülle. Womit Daoud eine kulturelle Differenz zu Deutschland markierte, meinte Diem doch zutreffend, nichts sei hier verpönter als "didaktisches Theater, weshalb wir eher unsere Botschaften verstecken".

Bousselimi geißelte die "Diktatur des Ästhetischen" in Tunesien, die keine künstlerische Freiheit dulde. Sie fühle sich in Europa mitunter als Quoten-Exotin benutzt, als Teil der tunesischen "Jasmin-Revolution" von 2011, die am Anfang des (überwiegend gescheiterten) "Arabischen Frühlings" stand. Tatsächlich fühle sie sich als "nomadisierte Künstlerin", die nicht auf ihren tunesischen Hintergrund reduziert werden möchte. Diems Problem, nicht zu wissen, wie Theater auf die aktuelle Flüchtlingssituation reagieren solle, unterstrich auch Bousselimi. Wir lebten heute im Zeitalter der Ernüchterung, nicht nur die Kunst sei ohne visionäre Leidenschaften. Wohl auch deshalb brach die junge Regisseurin eine Lanze für Aufrichtigkeit und Engagement auf der Bühne.

 Meriam Bousselimi, tunesische Theatermacherin. Foto: privat

Meriam Bousselimi, tunesische Theatermacherin. Foto: privat

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Wollte man ein Resümee der drei Theaterleute ziehen, dann vielleicht dieses: Kunst ist nicht nur zur Zerstreuung da. "Es geht im Theater nicht nur um Spaß, die Leute sollen auch etwas lernen", sagte Mwoloud Daoud. Christoph Diems (widersprüchlich anmutende) Bemerkung auf halber Abendstrecke, dass nicht Künstler, wohl aber Theater politisch sein müsse, klang so, als habe er an diesem Abend womöglich doch eine Antwort gefunden. Ob seine Spielzeit das einlösen wird?

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