Von der Furcht frommer Herzen vor der „Sünt“

Saarbrücken · Am Karfreitag wird Bachs Matthäuspassion in der Neunkircher Gebläsehalle aufgeführt. Ulrich Seibert hat sie einstudiert.

 Kantor Ulrich Seibert bei der Probe mit dem Kinderchor und dem Figuralchor in der Saarbrücker Notkirche. Foto: Astrid Karger

Kantor Ulrich Seibert bei der Probe mit dem Kinderchor und dem Figuralchor in der Saarbrücker Notkirche. Foto: Astrid Karger

Foto: Astrid Karger

Johann Sebastian Bach gelingt in der "Matthäuspassion" Erstaunliches, er erzählt die Passionsgeschichte, interpretiert sie zugleich und macht Leiden und Trost durch seine bewegende Musik für jeden erlebbar. Der Evangelist Matthäus, flankiert von den beiden Chören und Rezitativen der Handelnden, schreitet sprechsingend von Bild zu Bild und erklärt die Szenerie. Nach einem Moment der Stille leuchtet die jeweils folgende Arie auch das innere Geschehen aus, bietet Identifikationsfläche. Die wundersame Kraft der "Matthäuspassion" lässt uns mitleiden, mitgehen, Bachs Musik überwältigt auch Menschen des 21. Jahrhunderts. Der herzkranke Bertolt Brecht sagte von sich, schon früh habe er die Matthäuspassion' nicht ertragen - "da ich den Stupor verabscheute, in den man da verfiel, dieses wilde Koma."

Ulrich Seibert, Kantor der Saarbrücker Ludwigskirche und des Saar-West-Kirchenkreises, bringt Bachs gut drei Stunden dauernde "Oper" am Karfreitag mit dem auf historische Aufführungspraxis spezialisierten Neumeyer Consort, dem Figuralchor Saarbrücken und einem eigens zusammengestellten Kinderchor in der Neunkircher Gebläsehalle zur Aufführung. Uraufgeführt wurde die Matthäuspassion am Karfreitag 1727 in der Thomaskirche in Leipzig. Aus dem Gottesdienst wurde sie während ihrer Rezeptionsgeschichte herausgelöst, ihr Leben als Kunstwerk begann 100 Jahre später mit der Wiederentdeckung durch Mendelssohn-Bartholdy. Die historische Aufführungspraxis rührt wieder etwas an die Wurzeln und betont den rhetorischen Charakter, das verständliche Sprechen zur und mit der Gemeinde, nicht kunstvolle "Klangwolke", sondern "Durchhörbarkeit der barocken Instrumente", so Ulrich Seibert.

"Aus Liebe will mein Heiland sterben," die zentrale Einsicht im zweiten Teil des Werkes, in einer Arie vorgetragen, ist umrahmt vom "Kreuzigt ihn" Geschrei.

Um sich zum Reformationsjubiläum "gemeinsam unter das Kreuz zu stellen," sagt Ulrich Seibert, fiel die wohlüberlegte Wahl auf die Matthäuspassion. In der Matthäuspassion würde nicht auf den anderen gezeigt, um den Schuldigen zu finden, so Ulrich Seibert - "Ich bin schuld, dass Jesus leiden muss", das sei ein Kerngedanke der von Bach verinnerlichten lutherischen Theologie, nicht Pilatus, nicht die Römer, nicht die Juden.

Die Ludwigskirche wird renoviert, die Neunkircher Gebläsehalle ist nicht nur Ausweichquartier, sondern irgendwie auch Bild dafür, dass Gott zu den Menschen kommt, ihnen mit Christus im Neuen Testament einen neuen Bund anbietet, so wie es Martin Luther, aber auch Bach intepretierten. Bei der Probe in der Notkirche erklärt Ulrich Seibert dem Kinderchor das harte "t" der "Sünd", und wie viel elementare Furcht so ein frommes Herz der Lutherzeit umklammerte. Die Kinder, Chorleiterin ist Tünde Nagy, sind fröhlich, frei schmettern sie dem Kantor eine perfekte "SünT" entgegen.

Aufführung am Karfreitag in der Neuen Gebläsehalle in Neunkirchen (19 Uhr). Karten an den bekannten VVK-Stellen.

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