Von alttestamentarischer literarischer Wucht

Saarbücken · 45 Jahre nach Erscheinen der amerikanischen Originalausgabe zeigt John Williams' nun neu übersetzter Roman über Augustus Williams' kolossales Talent.

Recht wenig ist bekannt über ihn, und das Wenige widerspricht sich. Auf jeden Fall war Augustus (63 v. Chr.-14 n. Chr.) als erster römischer Kaiser ein historisch verbürgter Weltführer, als Politiker so erfolgreich wie brutal konsequent, als Privatmann zurückhaltend wie autoritär. Er kam an die Macht, weil sein ermordeter Großonkel Julius Cäsar das durch eine testamentarische Adoption so verfügt hatte. Und er nutzte sie 44 Jahre lang. Die Ergebnisse sind imponierend. Ein in den Fängen von Splittergruppen darniederliegendes Rom hatte er vorgefunden und zur Weltmacht geeint. Aus dem Chaos baute er eine attraktive Stadt, die für viele Zuzügler zum Zentrum der Welt wurde. Er machte sie trotz aller Intrigen zur Millionenstadt mit einem langen Frieden im Innern.

1971 erschien die amerikanische Originalausgabe des Romans, 1973 bekam der grandiose Autor dafür den National Book Award. Von seinen drei exzellenten Romanen "Stoner", "Butcher's Crossing" und "Augustus" war letzterer noch der erfolgreichste. John Williams (1922-1994) selbst war es zu Lebzeiten indes nicht. Jedes Buch war komplett anders als sein Vorgänger, das machte ihn zum unzuverlässigen Autor. "Er ist ein Hemingway ohne Gepolter, ein Fitzgerald ohne Firlefanz, ein Faulkner ohne Pomp", beschrieb das sein Mentor Dan Wakefield. Genau in diese Liga aber gehört der viermal verheiratete Unidozent und stille Trinker, dessen Romane Meisterwerke von existenzieller Wucht sind.

Lange hat der skrupulöse Williams über eine plausible Form für seinen Augustus-Roman nachgedacht. Keinesfalls wollte er einen gängigen Geschichtsschinken abliefern oder im historischen Gewand didaktisch seine Gegenwart erklären: "Bloß kein Henry Kissinger in einer Toga." Vielleicht brachte ihn die Tatsache, dass die alten Römer fleißige Briefeschreiber mit einer erstaunlich gut funktionierenden Post waren, auf die Idee, sein Buch als Kaleidoskop verschiedener Stimmen zu konstruieren. Aus Briefen, Erinnerungen, amtlichen Dokumenten und Protokollen ist sein Augustus-Roman in zeitlichen und örtlichen Sprüngen komponiert. Alles sollte unmittelbar klingen - und doch ist fast alles fiktiv. Schlachtengetümmel, Stadtbeschreibungen, rührende Szenen aus dem Volk, Politikintrigen, Verschwörungen, Tratsch folgen aufeinander und diffundieren zum Bild eines sehr komplexen Mannes, der einer bewegten Zeit die Richtung gab. Erst im letzten Viertel kommt Augustus selbst zu Wort.

Fasziniert liest man diesen Roman, gefangen von seiner Stringenz. Erfährt vom Schicksal Julias, Augustus' Tochter, die auf Pandateria in der Verbannung Tagebuch führt. Für ein selbstbestimmtes Leben zahlt sie einen hohen Preis. Nachdem sie keinen der drei für sie ausgesuchten Ehemänner lieben konnte, entdeckte sie die Macht ihres Körpers, setzte sie lustvoll ein. Gegen die Verdorbenheit Roms hatte ihr Vater rigide Ehebruchsgesetzte erlassen. Für ihren Verstoß lässt er nun die eigene Tochter büßen. Ihre Lebensbilanz ist von alttestamentarischer Wucht und ein Beleg für die Macht von Literatur.

John Williams: Augustus.

A. d. amerik. Englisch v. Bernhard Robben. dtv. 476 S., 24 €.

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