Saarbrücker Ausstellung Vom Faustkeil bis zur „Entarteten Kunst“

Saarbrücken · Das Museum für Vor- und Frühgeschichte in Saarbrücken zeigt den „Berliner Skulpturenfund – Entartete Kunst im Bombenschutt“ – ergänzt um verfemte Werke der Klassischen Moderne und „kriegsversehrte“ antike Stücke aus saarländischen Beständen.

 Marg Molls „Tänzerin“ (um 1930), aus dem Berliner Skulpturenfund.

Marg Molls „Tänzerin“ (um 1930), aus dem Berliner Skulpturenfund.

Foto: © VG Bild-Kunst, Bonn 2017/Museum für Vor- und Frühgeschichte, Staatliche Museen zu Berlin./Photographer: Achim Kleuker

Als Archäologen 2010 vor dem Roten Rathaus in Berlin nach Siedlungs-Überresten aus dem Mittelalter gruben, stießen sie stattdessen erst einmal auf 16 Skulpturen von Künstlern der Klassischen Moderne, darunter beispielsweise Otto Freundlich. Die Kunstwerke aus einem in der Berliner König­straße angesiedelten Depot der Nazis mit so genannter „entarteter Kunst“ hatten nicht nur ihre Beschlagnahmung in den 1930er Jahren, sondern auch das Bombeninferno des Zweiten Weltkriegs überstanden, wenn auch zum Teil schwer versehrt oder nur als Fragmente. Als spektakulärer „Berliner Skulpturenfund“ machten sie Schlagzeilen.

14 deutsche Städte haben diesen „Berliner Skulpturenfund“ bisher gezeigt. Ab heute Abend (19 Uhr) sind die 16 Kunstwerke im Museum für  Vor- und Frühgeschichte am Saarbrücker Schlossplatz ausgestellt – als Kernstück und Aufhänger einer Schau, die die Berliner Fundstücke um „kriegsversehrte“ moderne Skulpturen, Grafiken und 25 archäologische Fundstücke aus Beständen der Stiftung Saarländischer Kulturbesitz ergänzt. Und so begegnen dem Besucher im zweiten Raum der Schau lange nicht gezeigte expressionistische Skulpturen von Alexander Archipenko, Rudolf Belling oder Ernst Barlach. 14 Druckgrafiken und Lithografien von Künstlern der Klassischen Moderne wie Picasso, Otto Dix oder auch Fritz Zollnhofer ergänzen den saarländischen Teil. Albert Weisgerber ist mit einem großformatigen Ölgemälde seiner Ehefrau Margarete vertreten. Er ist zwar kein Künstler der Klassischen Moderne, aber den Nazis galt er trotzdem als „entartet“, war doch seine Ehefrau jüdischer Abstammung. Die ausgewählten Werke aus der Sammlung des Saarlandmuseums spiegeln und ergänzen den Berliner Fund mit seinen Plastiken unter anderem von Edwin Scharff, Karel Niestrath, Emy Roeder und anderen. Gemeinsam ist allen gezeigten Künstlern ihr tragisches Schicksal als von den Nazis Verfolgte und Verleumdete. Nachlesen kann man Biografisches zu den (weniger bekannten) Künstlern des Berliner Fundes an einem großen Info-Tisch.

Roland Mönig, Leiter der Stiftung, spricht von einem „Brückenschlag“, den man versucht habe: „Wir wollten im Hinblick auf die Wiedereröffnung der Modernen Galerie am 18. November mit dieser Schau auch einen Blick zurückwerfen auf die Sammlungsgeschichte des Saarlandmuseums und des Museums für Vor- und Frühgeschichte.“

Ein originelles Unterfangen, denn wer erwartet schon den Ludweiler Faustkeil oder die Goldscheibenfibel von Wittersheim aus dem 7. Jahrhundert n. Chr. in dieser Schau, die sich doch eigentlich um die Berliner Skulpturen der Klassischen Moderne dreht. Der gemeinsame Nenner für diese Ausstellungsstücke ist, dass sie gewissermaßen den Zweiten Weltkrieg mit viel Glück „überlebt“ haben. So wurden der Faustkeil und die Fibel aus einem Tresor in den Trümmern der Altertumssammlung des Saarlandes geborgen, der einstigen Dragonerkaserne am Ludwigsplatz, heute Sitz der Kunsthochschule, die in der Bombennacht vom 5. Oktober 1944 völlig ausgebrannt war.

Alle gezeigten Werke hatten die Nazis als „entartete Kunst“ beschlagnahmt, viele tauchten in der berühmten Münchener Schandschau „Entartete Kunst“ von 1937 auf. Die Graphische Sammlung des Saarlandmuseums, angelegt ab 1924 durch den Künstler Fritz Grewenig, hatte im Zuge der Gleichschaltung rund 300 Kunstwerke verloren. Dass einige nach dem Krieg mühsam wieder angekauft werden konnten, wie zum Beispiel das gezeigte „Mädchen“ von Fritz Müller, ist erfreulich. Es ist auch dem Umstand zu verdanken, dass die Nazis so bürokratieversessen waren und die Beschlagnahmung, den Verkauf und die Zerstörung der allermeisten Werke in der so genannten „Harry-Fischer-Liste“ dokumentiert hatten. Man konnte so den Verbleib vieler Werke rekonstruieren. Die Provenienzforschung, der sich das Saarlandmuseum in den vergangenen zwei Jahren intensiv angenommen hat, bleibt also eine Herausforderung, die Kunsthistoriker noch lange beschäftigen wird.

Eine Ringvorlesung zur Provenienzforschung mit acht Terminen (bis Februar) startet am 4. Oktober mit einem Vortrag zur Beutekunst von Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz.
Die Ausstellung wird heute um 19 Uhr eröffnet und läuft bis 4. Februar.  Di-So 10-18 Uhr. Mi 10-20 Uhr.

 Das 1944 ausgebombte Museumsgebäude am Saarbrücker Ludwigsplatz. Heute ist dort die Saar-Kunsthochule (HBK). 

Das 1944 ausgebombte Museumsgebäude am Saarbrücker Ludwigsplatz. Heute ist dort die Saar-Kunsthochule (HBK). 

Foto: Landesarchiv des Saarlandes
 Plastik von Rudolf Belling aus dem Saarlandmuseum.

Plastik von Rudolf Belling aus dem Saarlandmuseum.

Foto: VG Bild-Kunst, Bonn 2017
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