Kino Vom Arbeitskampf in Luxemburg

Saarbrücken · Im Saarbrücker Kino Achteinhalb war die Dokumentation „Streik!“ zu sehen: Regisseur Andy Bausch erforscht die Geschichte der Gewerkschaften in Luxemburg.

 Bei der Diskussion nach dem Film, von links nach rechts: Produzent Paul Thiltges, Patrick Freichel, erster deutscher Tarifsekretär im luxemburgischen Gewerkschaftsbund OGBL, Frédéric Krier, Mitglied im Vorstand des OGBL, und Moderator Thomas Schulz, Pressesprecher der DGB-Region Saar.

Bei der Diskussion nach dem Film, von links nach rechts: Produzent Paul Thiltges, Patrick Freichel, erster deutscher Tarifsekretär im luxemburgischen Gewerkschaftsbund OGBL, Frédéric Krier, Mitglied im Vorstand des OGBL, und Moderator Thomas Schulz, Pressesprecher der DGB-Region Saar.

Foto: Kerstin Krämer/Kerstin Kraemer

Schade – und das gleich doppelt: Schade, dass sich am Mittwoch enttäuschend wenige Zuschauer im Kino Achteinhalb einfanden, um den Film „Streik! 100 Jahre freie Gewerkschaften in Luxemburg (1916-2016)“ anzusehen. Der 100 Minuten lange Streifen von  2016 lief – in Kooperation mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) – im Rahmen der „Filmschau Großregion“, mit der das Saarländische Filmbüro sein 30-jähriges Bestehen feiert. Schade auch, dass Regisseur Andy Bausch verhindert war; die anschließende Diskussion fand ohne ihn statt.

In „Streik!“, benannt nach einem Stummfilm des sowjetischen Regisseurs Sergei Eisenstein aus dem Jahr 1925, skizziert Bausch über ein Jahrhundert Luxemburger Sozialgeschichte – der Unabhängige Gewerkschaftsbund Luxemburg (OGBL) hatte den Dokumentarstreifen anlässlich des 100. Jubiläums der freien Gewerkschaften in Auftrag gegeben. Um die sozialen Konflikte und die Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung in Luxemburg bis in die Gegenwart aufzurollen, geht Bausch chronologisch vor und konfrontiert den Zuschauer mit vielen Fakten, Daten, Namen – und Schicksalen. So beleuchtet er die Zeiten der Jahrhundertwende, des Ersten und Zeiten Weltkriegs und der Weltwirtschaftskrise; er hebt die Bedeutung einzelner Gewerkschaftler hervor, hinterfragt die Rolle der Presse und untersucht die politischen Einflüsse seitens Deutschlands, Belgiens und Frankreichs.

Detailliert schildert Bausch die Entwicklung und Konkurrenz diverser Einzelgewerkschaften der unterschiedlichen Industrie- und Servicezweige, bis Mitte der 60er Jahre die Ära gewerkschaftlicher Partnerschaften anbricht. Die Darstellung beginnt 1867 mit dem Abzug der preußischen Garnison; parallel gründen sich erste Arbeiterverbände wie der „Luxemburger Buchdruck-Verein“. Das Großherzogtum entwickelt sich zum Industriestaat: Der Bau von Eisenbahnlinien, Hütten, Minen und Hochöfen lockt „Fremdarbeiter“ an, Luxemburg wird vom Emigrations- zum Immigrationsland. Dem Wohlstand des Wirtschaftsbürgertums steht dabei das Elend der Arbeiterklasse gegenüber: Ausbeutung, keine soziale Absicherung, unzureichende hygienische Bedingungen, Kinderarbeit, mangelnde gesellschaftliche Anerkennung – „Menschenmaterial, mit dem drauflos geschuftet wird“, heißt es im Film.

Es sind die italienischen Arbeiter, die sich wehren und zu ersten Arbeitsniederlegungen aufrufen. Zunehmend etabliert sich der Streik als probates Mittel, um sich Recht und Anerkennung zu erkämpfen: Ab den 1950ern gilt ein Arbeiter nicht mehr als Mensch dritter Klasse, sondern hat sich als kaufkräftiger, respektierter Bürger etabliert. Dass Bausch „keine trockene Epistel“ abliefert, sondern ihm ein, wie das Publikum im Kino lobte, „emotional dichter, humorvoller“ Film gelungen ist, verdankt sich zum einen dem Umstand, dass Bausch wiederholt auf bewährte Stilmittel des Genres zurückgreift: Durch die Kombination von Zeitdokumenten  mit berührenden Interviews und nachgestellten Szenen gelingt ihm eine lebendige Präsentation. Auch wenn, wie das „Luxemburger Wort“ bemängelt, im letzten Drittel die Zeitzeugeninterviews derart überhand nehmen, dass der Film zum PR-Instrument des OGBL zu werden droht. Bausch verpackt die Aufarbeitung in eine fiktive Rahmenhandlung, bei der eine Studentin in den staubigen Akten des Luxemburger Nationalarchivs wühlt, um „die Geschichte des einfachen Arbeiters“ zu rekonstruieren: Die Beziehung, die sich zwischen ihr und dem verknöcherten Leiter des Archivs entwickelt, ist nicht unwitzig.

Im Anschluss an die Vorführung von „Streik!“ diskutierten der Luxemburger Produzent Paul Thiltges, Frédéric Krier (Mitglied im geschäftsführenden Vorstand des luxemburgischen Gewerkschaftsbundes OGBL) und Patrick Freichel (erster deutscher Tarifsekretär beim OGBL) unter der Moderation von Thomas Schulz (Pressesprecher der DGB-Region Saar) über aktuelle Gewerkschaftsaufgaben: über Teilhabe für Grenzgänger etwa, die positive Akzentverschiebung des 1. Mai zum kulturell bedeutungsvollen Volksfest und ein „Umdenken der Arbeit vom Malochen zum Gemeinwohl“ (Paul Thiltges). Und darum, dass es trotz der Tripartite (eines in den 1970er Jahren etablierten Modells, bei dem Arbeitgeber, Gewerkschaften sowie Regierungsvertreter gleichberechtigt am Verhandlungstisch sitzen) „tendenziell schwieriger werde, sich zu einigen“ (Krier). Kleine Anekdote am Rande: Im letzten Jahr gab es in Luxemburg null Streiktage – in Frankreich 120.

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